Angst ums Selbstbild

Wieder sorgt ein Bundeswehreinsatz in Afghanistan in der großen Koalition für Zoff, der jetzt erst einmal auf das nächste Jahr vertagt wurde

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Dieses Mal geht es um die Frage, ob die Bundeswehr einer Anfrage der Nato nachkommen soll und ab Frühjahr 2007 sechs so genannte RECCE-Tornados für den Einsatz im Süden Afghanistans bereitstellen soll. Eine entsprechende Anfrage liegt auf den Tisch des Generalinspekteurs der Bundeswehr Wolfgang Schneiderhan. Der Hintergrund ist schnell umrissen. In Afghanistan werden die ca. 30.000 Nato-Soldaten mit den wieder erstarkten Taliban und ihren Umfeld nicht fertig. Nach der Schneeschmelze soll eine Bodenoffensive die islamistischen Aufständischen schwächen. Doch die Militärs wissen ganz genau, dass eine solche Offensive ein großes Risiko ist, da die islamistischen Kämpfer sich bestens auskennen und in manchen Provinzen auch wieder Teile der Bevölkerung hinter sich gebracht haben. So soll das militärische Risiko durch eine gute Aufklärung im Vorfeld so weit wie möglich vermindert werden. In diesem Zusammenhang kommen die RECCE-Tornados ins Spiel, die nach Ansicht von Militärexperten zum technisch Ausgereiftesten auf dem Sektor der militärischen Aufklärung gehören.

Die Tornados machen Fotos mit einer Auflösung von weniger als 30 cm. So könnte man selbst den wöchentlichen Bartwuchs von Osama bin Laden oder seinem Schwiegersohn Mullah Omar nachmessen, unken Militärexperten. Die Fotos sollen als Teil der Luftaufklärung das Terrain für zielgenaue Bombadierungen

So weit sah alles nach der üblichen militärischen Routine aus. Doch die Anfrage führte im vorweihnachtlichen Berlin noch einmal zu einer richtig kontroversen Debatte. Dabei geht es um die Frage, ob eine Verlegung der Tornados mit dem bisherigen Afghanistan-Mandat vereinbar ist. Nach einer raschen Prüfung signalisierte die Bundesregierung zunächst Zustimmung. Der Einsatz würde sich formalrechtlich noch innerhalb des Mandats bewegen. Doch ausgerechnet von den Militärpolitikern der Union kam Widerspruch gegen diese regierungsamtliche Lesart.

Der Verteidigungsstaatssekretär Thomas Kossendey widersprach Verteidigungsminister Franz Josef Jung mit der Begründung, dass eine solch wichtige Entscheidung nicht ohne das Parlament geregelt werden könne. Damit lag er ganz auf der Linie des sozialdemokratischen Staatsministers Gernot Erler, der erst nach Druck von Seiten der Bundesregierung von dieser Position abrückte. Es geht bei der Debatte um die Auslegung eines Abschnittes des bisherigen Mandats: Es begrenzt der Bundeswehr auf den Norden Afghanistans und die Hauptstadt Kabul. Erlaubt sind aber zeitlich begrenzte Unterstützungseinsätze in anderen Regionen, "sofern dies zur Erfüllung des Isaf-Gesamtauftrages unabweisbar ist". Insgesamt können dafür bis zu 3.000 Soldaten zum Einsatz kommen.

Diese Obergrenze war zuletzt praktisch ausgeschöpft worden. Für Betrieb und Wartung von sechs Tornados wären 250 zusätzliche Soldaten nötig. Außerdem fragen mehrere Politiker nach der Dauer des Tornado-Einsatzes, der nach Meinung der Kritiker zwei Wochen nicht überschreiten dürfe, wenn er noch vom bisherigen Mandat gedeckt sein soll. Doch Kenner der Materie rechnen mit einer längeren Dauer oder gehen zumindest davon aus, dass sie im Vorfeld nicht klar begrenzt werden könne.

Schützenhilfe bekamen die skeptischen Politiker von Medien, die bisher durchaus nicht zu den Kritikern einer deutschen Außenpolitik mit militärischen Komponenten gehörten. So schrieb Christoph Schwennicke in der Süddeutschen Zeitung den Regierungspolitikern ins Stammbuch: ”Es mag formal möglich sein, den eventuellen Einsatz der von der Nato für den Süden Afghanistans angeforderten deutschen Aufklärungsflugzeuge vom Typ Tornado in das bestehende ISAF-Mandat des Bundestages zu pressen. Politisch sauber wäre es nicht.”

ISAF oder OEF

Schwennicke spielt hier darauf an, dass es sich bei den Nato-Operationen in Afghanistan formal um zwei definitorisch getrennte Teile handelt. Der ISAF-Einsatz im Norden Afghanistans dient zur Stabilisierung des Landes. Dort sollen unter militärischer Kontrolle Brücken aufgebaut und Brunnen gebohrt werden. Hier ist die Bundeswehr aktiv und zeigt das auch stolz nach Aussen. So kann sie umso besser das Selbstbild pflegen, eine Art bewaffneter Entwicklungshelfer zu sein.

Die Nato-Verbündeten sind davon gar nicht so angetan. Sie stellen die Hauptlast der Operation Enduring Freedom im Süden Afghanistan, wo sich zur Zeit die Hauptfront gegen die Taliban und andere Islamisten befindet. Immer wieder kommen die Unstimmigkeiten an die Öffentlichkeit. Im November gab von Seiten anderer Nato-Staaten starken Druck auf die Bundesregierung, das Einsatzgebiet der Bundeswehr auch auf den Süden Afghanistans auszuweiten (Mission Notfall). Aus den USA kam schon die Empfehlung an die Bundeswehrsoldaten, sie müssen wieder töten lernen.

Nun sind die Verbindungen zwischen den ISAF-und den OEF-Einsätzen längst nicht so strikt getrennt, wie es im politischen Berlin gerne dargestellt wird. Es gibt vielmehr vom ersten Tag an eine Verzahnung beider Operationen. So verweisen Militärexperten darauf, dass die Hubschrauber und Flugzeuge, mit denen im Ernstfall das Personal des ISAF-Einsatzes evakuiert werden soll, von US-Militärs im Rahmen des OEF-Einsatzes bereit gehalten werden. Die schlichte Wahrheit, dass auch der ISAF-Einsatz ein Teil des internationalen Kriegs gegen den Terror ist, wird aber von den Politikern der großen Koalition nicht gerne ausgesprochen.

Das hat verschiedene Gründe. Man möchte sich gerne von den angeblich besonders arroganten US-Militär abheben, in dem man zeigt, wie gut man sich mit den Menschen vor Ort versteht und dass man ja nur der uneigennützige Aufbauhelfer in Waffen ist. So hofft man auch weiter Einfluss in jenen Ländern, vor allem des Nahen und Mittleren Ostens, zu behalten, die sich von den USA demonstrativ abgrenzen. Neben diesem außenpolitischen Kalkül sind es aber auch innenpolitischen Gründe, die es der Bundesregierung ratsam erscheinen lassen, zumindest eine gewisse Distanz zu den US-Militärs zu wahren. Denn es sind längst nicht mehr nur die üblichen Verdächtigen aus dem Spektrum der Friedensbewegung, die sich gegen deutsche Militäreinsätze im Ausland aussprechen und die ihre politische Vertretung in der Linkspartei und zu Teilen noch im Ströbele-Flügel der Grünen sehen. Schon lange gibt es auch auf der rechten Seite des politischen Spektrums einen deutlichen Unmut gegen die Beteiligung an Militäreinsätzen, die keine deutschen Interessen tangieren. Alle politischen Gruppen und Parteien rechts von der Union agieren gegen angebliche deutsche Handlangerdienste für die USA.

Diese nationalneutralistische Strömung hat zur Zeit keine eindeutige Interessenvertretung. Doch sie macht sich schon bis in die Reihen des rechten Flügels der Unionsparteien und auch in Teilen der FDP bemerkbar. Ein Militäreinsatz, der mit Toten auch auf Seiten der Deutschen verbunden wäre, könnte eine solche Stimmung schnell anwachsen lassen. Deswegen sind alle bisherigen Militäreinsätze immer auch ein Gezerre zwischen so genannten Bündnisverpflichtungen und dem Erhalt des gepflegten Selbstbildes gewesen. In Erinnerung ist noch der Streit um den Libanon-Einsatz (Probleme im Nahen Osten). Die libanesische Regierung widersprach Erklärungen, die Bundeskanzlerin Merkel vor dem Bundestag abgegeben hatte, musste dann aber doch den Wünschen der deutschen Regierung nachkommen.

Wie das jüngste Gezerre um den Afghanistan-Einsatz ausgehen wird, ist noch offen. Jetzt hofft die Regierung, dass sich der Streit bis zum Ende der Parlamentspause im Januar gelegt hat. Denn sie steht vor einem mehrfachen Dilemma: Eine Brüskierung der Nato-Verbündeten durch eine Ablehnung der Tornados kann man sich nicht leisten. Doch einfach das bisherige Mandat auszudehnen, ist auch riskant, zumal Bundestagsabgeordnete in einem solchen Fall schon eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht angekündigt haben.

Eine neue Debatte um ein erweitertes Parlamentsmandat kommt eigentlich den politisch Verantwortlichen nicht sehr gelegen. Schließlich könnte dann auch mal jemand fragen, was das Kommando Spezialkräfte (KSK) in den Bergen Afghanistans treibt. Kindergärten wurden dort bisher keine gebaut und schon lange gibt es begründete Vermutungen, dass dort ohne besondere Berücksichtigung von Menschenrechten gekämpft wird. Zumindest dieses Kontingent des deutschen Militärs muss das Töten nicht erst lernen. Doch bisher hat niemand genau nachgefragt.