Die Herrschaft der Paramilitärs

Nun hat es auch den Geheimdienstchef erwischt. Jorge Noruega ist der bisher ranghöchste Funktionär in Kolumbien, der wegen Zusammenarbeit mit rechten Milizen und Drogenhändlern in Untersuchungshaft genommen wurde

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Anders als die bisher neun inhaftierten Abgeordneten ("Paragate" erschüttert die politische Landschaft Kolumbiens) ist Noruega nicht nur politischer Verbündeter sondern auch ein enger Freund von Präsident Uribe. Bevor ihn der Präsident zum Direktor der Verwaltungsabteilung Sicherheit (DAS) ernannte, hatte er Uribes Wahlkampf in der Karibikregion geleitet. Noruega wird nicht nur vorgeworfen, dass er die Paramilitärs logistisch unterstützt habe, sondern auch, dass er die persönlichen Daten mehrerer Gewerkschafter aus Baranquilla weitergegeben habe, die anschließend ermordet wurden. Dazu kommen Ermittlungen wegen Fälschungen im Präsidentschaftswahlkampf 2002 sowie wegen illegaler Bereicherung und der Preisgabe von vertraulichen Informationen.

Die Anschuldigungen sind nicht neu. Bereits vor einem Jahr war der Abteilungsleiter Informatik des Geheimdienstes verhaftet worden. Damals sah sich der Präsident gezwungen, seinen Mann aus der Schusslinie zu nehmen, und hatte ihn als Konsul nach Mailand geschickt. Der mittlerweile zu 18 Jahren Haft verurteilte Rafael García wirft seinem Ex-Chef unter anderem vor, mehrmals Gesandte von „Jorge 40“, dem Chef der Paramilitärs an der Karibikküste, empfangen zu haben.

Dass der Geheimdienstchef jetzt verhaftet wurde, ist dem Obersten Gericht zu verdanken. Die Generalsstaatsanwaltschaft hatte bis zuletzt nur Vorermittlungen geführt. Nachdem im Besucherverzeichnis der DAS elf Eintragungen eines nahen Verwandten von „Jorge 40“ gefunden wurden, ordnete das Oberste Gericht an, den verurteilten Rafael Garcia als Zeugen zuzulassen. Das ließ dem Staatsanwalt keine Wahl.

Uribe: Populär wie zuvor

„Wenn sich die Anschuldigungen als wahr herausstellen sollten, bitte ich die Opfer um Entschuldigung, schließlich habe ich den Direktor der DAS ernannt.“ Weiteren Nachfragen entgeht Präsident Àlvaro Uribe bislang mit der Auskunft, die Angelegenheit sei Sache der Justiz. Seine Aufgabe sei es, die Regierungsgeschäfte zu leiten. Außerdem sei er selbst am allermeisten an Erkenntnissen zur Infiltration von Kriminellen in die „örtliche Politik“ interessiert. „Brutalstmögliche Aufklärung“ eben, wie sie anderswo auch funktioniert hat.

Andererseits ist es nicht zuletzt auch Uribe zuzurechnen, dass die Justiz nun ernsthafte Untersuchungen zur Zusammenarbeit von Politikern und Behörden mit den AUC beginnt. Anders als viele seiner Vorgänger hat er darauf verzichtet, das Oberste Gericht mit Getreuen zu besetzen.

Bislang ist die Popularität von Präsident Àlvaro Uribe in der städtischen Mittelschicht ungebrochen. Die jüngste telefonische Umfrage in den vier Metropolen des Landes ergab eine Zustimmungsrate von über 70 Prozent. Dass Uribes Strategie funktioniert, verdankt er nicht zuletzt den beiden großen Medienhäusern Caracol und RCN, bei denen er allzeit auf ein offenes Mikrofon zählen kann: Wann immer der Präsident öffentlich auftritt, kann er seine Ansichten ausführlich verbreiten, ohne kritische Nachfragen zu fürchten.

„Para-Uribismo“ statt „Para-Politica“

Selbst die liberale Opposition hält sich zurück. Schließlich stammen einige Abgeordnete, gegen die ermittelt wird, aus ihren Reihen. Einzig die Linke greift den Präsidenten frontal an. Kolumbiens parlamentarische Linke ist in den letzten Wahlen trotz offensichtlicher Wahlfälschungen zugunsten der präsidententreuen Parteien erstarkt und nun drittstärkste politische Kraft. Das liegt nicht nur an ihrer klaren Absage an den „bewaffneten Kampf“ und die FARC-Guerilla, sondern vor allem an dem Prozess, der unter Moderation des ehemaligen Verfassungsrichters Carlos García die Kommunistische Partei, linke Sozialdemokraten und Gewerkschafter als Alternativer Demokratischer Pol (PDA) vereinigt hat. Den Anfang machte der Senator Gustavo Pedro, der Uribes Bruder bezichtigte, mit den Paramilitärs zusammengearbeitet zu haben und Aufklärung über Uribes Verbindungen zu diesen Gruppen während seiner Zeit als Governeur von Antioquia verlangt.

Im März wird es im Kongress eine parlamentarische Debatte zur „Para-Politica“ geben. Freilich muss der Präsident wegen seiner deutlichen Mehrheit kaum konkrete Konsequenzen fürchten. Allerdings sah er sich erstmals gezwungen, persönlich auf die Vorwürfe zu reagieren. Gustavo Petro und andere Ex-Mitglieder der Stadtguerilla M-19 seien nichts anderes als „Terroristen in Zivil“. Dass der „Commandante Uno“ der M-19 heute als Direktor der öffentlichen Sozialversicherung Teil seiner Regierung ist, hat die darin steckende Drohung nicht belangloser gemacht: Nicht nur in der Linken hat der Terrorismusvorwurf des Präsidenten Erinnerungen an die 1980er Jahre geweckt, als Teile der FARC-Guerilla erstmals versucht hatten, sich ins zivile Leben zu integrieren. Damals hatte die Regierung die „Union Patriótica“ zu den Wahlen zugelassen – und sie damit zum Abschuss freigegeben. Bevor es zu ernsthaften Veränderungen im sozialen Gefüge des Landes kommen konnte, wurden zwischen 2.000 und 5.000 Aktivisten, Abgeordnete und Gemeinderäte der damals ebenfalls drittstärksten politischen Kraft von Paramilitärs ermordet, viele davon in Zusammenarbeit mit den Behörden.

Jorge Robledo, Sprecher der PDA im Kongress, hat nun den nächsten Stein geworfen. Nicht „Para-Politica“, wie der Skandal in Kolumbien genannt wird, sondern „Para-Uribismo“ sei der treffende Ausdruck. Schließlich seien alle bisher Verhafteten und die Mehrheit der Abgeordneten, gegen die ermittelt wird, einflussreiche Führer der vielen Parteineugründungen, die den Präsidenten unterstützen.

Allmählich macht sich in Uribes Reihen Nervosität breit. In der vergangen Woche war in mehreren großen Zeitungen spekuliert worden, Uribe stehe zwar auf dem Gipfel seiner Macht und öffentlichen Zustimmung, aber eben auch recht alleine in dieser luftigen Höhe. Grund sei sein autoritärer Regierungsstil, Uribes mangelnde Unterstützung für die bedrängten Parlamentarier und sein Kabinett von Technokraten, die nur ihren Fachbereich, nicht jedoch eine gemeinsame Regierungslinie vertreten.

Wie bei solchen „Enthüllungen“ zu erwarten, beeilten sich zahlreiche Abgeordnete und Funktionäre, dem Präsidenten ihre uneingeschränkte Unterstützung zu versichern. Innenminister Hoguín sah sich veranlasst, die Vorwürfe von Robledo so zu erwidern: „Das ist eine weitere Schändlichkeit (infamia) dieses Niederträchtigen (infame). Er macht nichts weiter, als Niedertracht (infamias) gegen Kolumbien zu schleudern, wenn er ständig behauptet, das Land sei paramilitarisiert.“ Robledo seinerseits zeigte Verständnis, „dass die Regierung sehr irritiert und in gewisser Weise verzweifelt ist. Schließlich ist es nicht einfach zu verkraften, wenn so viele Freunde in Haft wandern, und zusehen zu müssen, dass etliche weitere bereits Schlange stehen vor den Gefängnistoren.“

Die Legitimität des Parlaments schwankt

Neben den schweren Anschuldigungen gegen einzelne Parlamentarier - Beteiligung an Morden, Entführung und Geldwäsche – werden nun erstmals Wahlfälschungen untersucht, die das Wort „Stimmenkauf“ als Reminiszenz an längst vergangene glückliche Zeiten erscheinen lassen. Die Fälschungen sind derart schwerwiegend, dass die Legitimität des im vergangenen März gewählten Parlaments in Frage gestellt ist. Wenn ein Kandidat seinen Sitz gewann, weil Gegenkandidaten zum Rückzug gezwungen wurden und ganze Landkreise mit Waffengewalt auf die richtige Stimmabgabe hin kontrolliert wurden, wie kann dann einfach der zweitplazierte Kandidat seiner Liste nachrücken? Selbst innerhalb der Regierungsparteien werden mittlerweile Stimmen laut, die fordern, die Sitze unbesetzt zu lassen.

Mindestens 21 weitere Abgeordnete sind im Visier der Staatsanwälte. Ihre Wahlergebnisse lassen auf Unregelmäßigkeiten schließen. Dieb Maloof etwa, dessen politische Heimat eigentlich im Departement Atlantico liegt, hat im Departement Magdalena die Mehrheit seiner Stimmen erzielt. Untersuchungen der Stiftung „Nuevo Arco Iris“ führen das auf den Zuschnitt der von den Paramilitärs entworfenen „Wahlkreise“ zurück, mit dem sie jedem ihrer Kandidaten eine bestimmte Einflusszone zuwiesen. In diesen Gebieten wurden keine ernsthaften Konkurrenten geduldet und die Stimmabgabe der örtlichen Bevölkerung mit Waffengewalt überwacht.

Wenn die Ermittlungen der Staatsanwälte weitere Haftbefehle nach sich ziehen, wird die komfortable Mehrheit des Präsidenten schmelzen. Die ursprünglich vier Mann starke Fraktion „Colombia Democrática” ist schon jetzt auf die Hälfte geschrumpft, gegen die beiden Übriggebliebenen wird ermittelt. Der „bürgerschaftlichen Übereinstimmung“ (Convergencia Ciudadana) dürfte es nicht anders ergehen, hier wird gegen fünf Abgeordnete ermittelt.

Die Ermittlungen zeigen, dass die Strukturen der rechten Milizen – Schutzgelderpressung, Aufstellung „eigener“ Kandidaten, Infiltration der Behörden und Kontrolle der ländlichen Bevölkerung – auch nach ihrer Demobilisierung weitgehend intakt sind (Alle Märkte stabil). Das Mindeste, zu dem sich der Präsident in den nächsten Wochen gezwungen sehen wird, ist ein glaubwürdiges Programm, wie der Einfluss der Paramilitärs bei den Regionalwahlen im Oktober zurückgedrängt werden kann.