Tod eines Erwerbslosen

Die Armut von Erwerbslosen ist kein Einzelfall

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Nachdem vor einigen Tagen bekannt geworden war, dass in Speyer ein Erwerbsloser in seiner Wohnung verhungerte, ist die Betroffenheit groß. Ein 20jähriger Mann, der bei seiner 48jähriger Mutter lebte, starb an einer von Mangelernährung verursachten Unterfunktion wichtiger Organe. Seine Mutter befindet sich aufgrund von durch Unterernährung bedingten Krankheiten in ärztlicher Behandlung.

Nach ihren Angaben war der junge Mann vor der Einführung von Hartz IV im Rahmen einer Rehabilitationsmaßnahme vom Sozialamt betreut worden. Damit war mit dem Inkrafttreten der Arbeitsmarktreformen Schluss. Der Mann wurde als arbeitsfähig eingestuft, musste Arbeitslosengeld II beantragen und war fortan dem System von Fördern und Fordern unterworfen, das von den Befürwortern von Hartz IV als Zugewinn von Eigenverantwortung und Eigeninitiative begrüßt worden war. Der Tod in Speyer zeigte einmal mehr, was mit Menschen passieren kann, die nicht in der Lage sind, im Wettbewerb der Fitten, Flexiblen und Kreativen mitzuhalten.

Somit ist der Tote von Speyer das direkte Gegenbild von Henrico Frank, der bekannt geworden war, weil er den rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Kurt Beck bei einer Rede unterbrochen hatte und von diesem zum Waschen und Rasieren aufgefordert wurde (Der Punk und der Politiker).

Henrico Frank wurde zum Medienereignis und gleichzeitig zum Zankapfel in der Erwerbslosenbewegung. Denn er befolgte Becks Rat und bat um Arbeit. Er war aber eigenwillig genug, nicht zu jedem Termin bereit zu stehen, der ihm vom Mainzer Regierungssitz genannt wurde und auch nicht jeden Job zu jedem Preis anzunehmen. Als er als berühmtester Arbeitsloser durch die Medien ging, wurde ihm schließlich von einem Musikradio ein Job angeboten. Fast alle waren zufrieden. Henrico Frank, die Medien und auch die Politik. Hatte sich doch scheinbar mal wieder gezeigt, dass man sogar eine Stelle bekommt, wenn man nicht nur flexibel, sondern auch selbstbewusst ist. Selbst eine leichte Renitenz, z.B. der Schriftzug „Arbeit ist Scheiße“ an der Kleidung, muss nicht negativ zu Buche schlagen.

Die Erwerbslosengruppen standen gleich doppelt düpiert da, weil sie zuvor Frank gerade wegen seines Eigensinns kritisiert hatten. Er sei ein schlechter Vertreter für die Erwerbslosen, weil er eben Termine abgelehnt und auch sonst deutlich gemacht habe, dass ihm Arbeit eben nicht über alles geht. Dabei hätten die Erwerbslosenaktivisten eher deutlich machen müssen, dass die mediale Erfolgsgeschichte des Henrico Frank eben wenig mit den Lebensrealitäten vieler Hartz IV-Empfänger zu tun.

Abgehängtes Prekariat

Der Tote in Speyer war, was die drastischen Folgen betrifft, sicher ein Ausnahmefall. Doch er steht für nicht wenige Menschen, die von Beck mit der Vokabel des abgehängten Prekariats vielleicht unfreiwillig treffend charakterisiert wurde. Sie sind tatsächlich abgeschnitten von fast allen gesellschaftlichen Ereignissen. Internet und Computer besaßen sie nie, eine Zeitung können sie sich nicht leisten und wenn der Strom abgestellt wird, kann auch das Fernsehen keine Zerstreuung mehr bieten. Diese Menschen werden von den Politikerreden über Erwerbslose weder positiv noch negativ angesprochen, weil sie gar nicht kennen.

Für Anne Allex vom Runden Tisch der Erwerbslosen- und Sozialhilfeorganisationen ist die Armut von Erwerbslosen kein Randphänomen. „Wer mit 65 Jahren noch ein tolles Lebensniveau erreichen will, muss seit dem 16. Lebensjahr sehr gut verdienen. Ein großer Rest muss bis zur Minirente darben. Die rot-grüne Strategie für Ältere und Alte heißt: Schmalhans ist Küchenmeister“, hat sie schon nach der Einführung von Hartz IV geschrieben.

Solche Warnungen werden oft als Panikmache abgetan. Auch den Aktivisten der Tribunale gegen Armut und Elend, die in verschiedenen Städten beklemmende Fakten über die Lebenssituation von Menschen in Deutschland bekannt machten, werden medial meist ignoriert. Dass Menschen auch im Winter auf Heizung und Strom verzichten müssen, weil sie die Rechnungen nicht zahlen konnten, wird in der Regel als individuelles Schicksal wahrgenommen.

Mittlerweile haben Autoren aus der Erwerbslosenbewegung Ratschläge zusammengestellt, mit denen sich das Abstellen von Strom und Heizung verhindern lassen kann. Ein Kapitel der Broschüre widmet sich auch den städtischen Orten, in denen Menschen im Winter ein warmes Plätzchen zum Aufwärmen finden, ohne gleich Geld ausgeben zu müssen. Dazu zählen Shoppingmalls ebenso wie Bibliotheken. Dass solche Ratschläge für manche Menschen sogar überlebenswichtig sein können, hat der Tod von Speyer einmal mehr gezeigt.

Peter Nowak