Einsatz der Bundeswehr im Innern?

Demnächst will Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble seine "Leitlinien für die Innere Sicherheit" als innenpolitisches Weißbuch der Öffentlichkeit präsentieren, erneut die Forderung zu erheben, die Bundeswehr im Innern einzusetzen

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Angesichts der gegenwärtigen Bedrohungsperzeption haben die „politisch Verantwortlichen“ keine Wahl, als ihren Staats- und Sicherheitsapparat auf Vordermann zu bringen. Aber unter den Bundestagsparteien und innerhalb der Regierungskoalition schwelt ein Streit darüber, welche Maßnahmen effizient und angemessen sind, und welche Vorhaben nichts zur Sicherheit beitragen, sondern vielmehr die Demokratie selbst gefährden. Ein besonders diffiziles Problem ist die Frage, welche Aufgaben die Bundeswehr zukünftig im Innern wahrnehmen soll. In der Praxis übernahm die Truppe bis heute lediglich Unterstützungsaufgaben, aber zukünftig geht es um Kampfeinsätze im Innern. Mögliches Vorbild sind die „Garden Plot“-Planungen in den USA. Außerdem sind sich die Parteien uneinig darüber, ob diese politisch brisanten Inlandseinsätze schon heute durch das Grundgesetz abgedeckt sind oder erst durch eine entsprechende Verfassungsänderung abgesichert werden müßten. Immerhin erlaubt das Grundgesetz schon jetzt, dass die Bundeswehr in Kriegszeiten zur „Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer“ im Inland eingesetzt werden kann, wozu dann noch eine Ausweitung der Verfassungsbestimmungen?

Eine Schwierigkeit besteht darin, wie die politisch eher diffusen Vorstellungen in verfassungsrechtliche Bestimmungen umgesetzt werden können. Die juristischen Formulierungen müssen die neuen Militärkompetenzen zwar zuverlässig abdecken, aber andererseits genügend schwammig sein, um der Bundesregierung in einer konkreten Ausnahmesituation immer genügend Handlungsspielraum zu belassen. Daran anknüpfend stellt sich die Frage, wie die Militärs die politischen Vorgaben in eine militärische Notfall- und Einsatzplanung umsetzen, und ob solche Schubladenpläne für andere Zwecke missbraucht werden könnten. Da die politische Staatsspitze nur einen kleinen Einblick in ihre Vorhaben erlaubt, aber gleichzeitig mit dem Feuer spielt, heißt es für den politisch unentmündigten Staatsbürger aufzupassen!

Bekannt ist, dass sich im Koalitionsvertrag vom 11. November 2005 die „Warlords“ von CDU/CSU und SPD noch nicht auf eine gemeinsame Linie einigen konnten:

Angesichts der Bedrohung durch den internationalen Terrorismus greifen äußere und innere Sicherheit immer stärker ineinander. Gleichwohl gilt die grundsätzliche Trennung zwischen polizeilichen und militärischen Aufgaben. Wir werden nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Luftsicherheitsgesetz prüfen, ob und inwieweit verfassungsrechtlicher Regelungsbedarf besteht. In diesem Zusammenhang werden wir auch die Initiative für ein Seesicherheitsgesetz ergreifen.

Die Mehrheit der Christdemokraten möchte die Bundeswehr zur Terrorismusbekämpfung im Inland einsetzen. Aber es gibt auch Streit innerhalb der Union. Während Verteidigungsminister Franz Josef Jung an einer strikten Trennung zwischen Polizei und Militär festhält, möchte Innenminister Wolfgang Schäuble der Bundeswehr Polizeiaufgaben übertragen. Nachdem schon das alte Trennungsgebot zwischen Geheimdiensten und Polizei in den letzten Jahren teilweise eingerissen wurde, würde mit einer zusätzlichen Vermischung zwischen Militär und Polizei ein monströser Geheim-Polizei-Militärapparat errichtet. So schwadronierte Angela Merkel schon im Oktober 2001 von einem zentralen „Bundessicherheitsamt“.

Einig sind sich die Christdemokraten beim geplanten Abschuss von gekaperten Passagierflugzeugen und der Abwehr von Seeangriffen. Zwar mag es sich hierbei in der Praxis nur um seltene Einzelfälle handeln, aber sobald der Bundeswehr hierfür die Kompetenz erteilt wird, erhält sie einen permanenten Kampfauftrag für Inlandseinsätze. Nachdem das Bundesverfassungsgericht die erste Fassung des Luftsicherheitsgesetzes (LuftSiG) am 15. Februar 2006 verworfen hat, will die CDU eine modifizierte Gesetzesversion durch eine entsprechende Änderung des Grundgesetzes durchsetzen. Dafür soll entweder der Begriff des Verteidigungsfalles ausgeweitet werden oder eine Legitimierung über das internationale Kriegsvölkerrecht eingeführt werden. Um eine gesetzliche Grundlage für den Abschuss eines vollbesetzten Passagierflugzeuges durch das Nationale Lage- und Führungszentrum (NLFZ) in Uedem zu schaffen, würde es nach der Meinung des Bundesinnenministers reichen, wenn man in Art. 87a Abs. 2 eine klitzekleine Änderung einfügt:

Außer zur Verteidigung sowie zur unmittelbaren Abwehr eines sonstigen Angriffs auf die Grundlagen des Gemeinwesens dürfen die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zulässt.

Ein Gesetzesentwurf für militärische Maßnahmen zur Durchsetzung der Seesicherheit durch das Küstenwachzentrum (KüWaZ) in Cuxhaven steht noch aus.

Außerdem will Verteidigungsminister Franz Josef Jung die Auslandseinsätze der Bundeswehr auf eine breitere Verfassungsbasis stellen. Einzige Rechtsgrundlage für die deutschen Militärinterventionen ist bis dato eine exzessive Auslegung von Art. 24 Abs. 2 GG, in dem es lediglich heißt:

Der Bund kann sich zur Wahrung des Friedens einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einordnen.

Dieser Artikel gilt als dezisionistisches Musterbeispiel dafür, wie die Bundesregierung mit dem Segen des Bundesverfassungsgerichtes in der Lage ist, sich für jede Politik eine pseudolegale Grundlage zu konstruieren.

Parteienstreit über Bundeswehrkompetenzen

Gegen die CDU-Begehren üben sich die Sozialdemokraten im hinhaltenden Widerstand. Sie bekennen sich uneingeschränkt zu subsidiären Einsätzen der Bundeswehr im Rahmen des Katastrophenschutzes. Darüber hinaus plädieren sie für den Abschuß von Passagiermaschinen, ein Vorschlag der ursprünglich vom früheren Innenminister Otto Schily (SPD) stammt, und die Abwehr von terroristischen Seeattacken. Ansonsten aber warnten die Sozialdemokraten zunächst vor einer weitgehenden Militarisierung der Innenpolitik und hielten den bestehenden Rechtsrahmen des Grundgesetzes für völlig ausreichend. Am 11. Oktober 2006 schwenkte die SPD dann teilweise auf den Kurs der CDU ein. Im Verteidigungs-Weißbuch vom Oktober 2006 heißt es:

Militärische Kampfmittel dürfen bislang nicht eingesetzt werden. Hier sieht die Bundesregierung (!) die Notwendigkeit einer Erweiterung des verfassungsrechtlichen Rahmens.

Nach wie vor hält die SPD an ihrer Position fest, dass man die Bundeswehrsoldaten auf keinen Fall mit irgendwelchen Polizeibefugnissen ausstatten wolle, zumal dabei die Zuständigkeit der Bundesländer tangiert würde. Außerdem lehnt es die Mehrheit der Sozialdemokraten weiterhin ab, dass mit der Ausweitung der Militärkompetenzen die Verfassungsbestimmungen ausgeweitet werden und der Begriff „Verteidigungsfall“ umgedeutet wird. Dabei wissen die lavierenden Sozialdemokraten, dass gegenwärtig keine Zweidrittelmehrheit für eine Änderung des Grundgesetzes im Bundestag zustande käme. Darüber hinaus blieben in den bisherigen Vorlagen wesentliche Rechtsfragen ausgeklammert. Welches Exekutivgremium führt einen Kampfeinsatz im Innern und in welchem Umfang darf und soll das Parlament mitbestimmen? Das Parlamentsbeteiligungsgesetz vom 3. Dezember 2004 gilt schließlich nur für die Entsendung von Soldaten zu Auslandseinsätzen.

Der Parteienstreit schwelt schon lange. Bereits 1993, also lange vor dem 11. September, begann Wolfgang Schäuble mit seiner enervierenden Kampagne, um die Bundeswehr für den Fall von „größeren Sicherheitsbedrohungen im Innern“ durch den internationalen Terrorismus auch im Inland einsetzen zu können. Dabei sind demokratische Bedenken manchem Demokraten fremd. So erklärte Schäuble 1994:

Es darf nicht von vornherein alles ausgeschlossen und tabuisiert werden, indem man nur auf die besonderen historischen Erfahrungen verweist.

Demgegenüber polemisierte der ehemalige Bundesverteidigungsminister Peter Struck am 13. August 2005:

Ich glaube nicht, dass die Sicherheit größer wird, wenn Panzer Unter den Linden stehen.

Die „Arbeitsgruppe Unterstützung durch die Bundeswehr im Katastrophenschutz der Länder“ des Bundesinnenministeriums, des Bundesverteidigungsministeriums sowie der Bundesländer Nordrhein-Westfalen, Bayern und Thüringen stellte in ihrem Gemeinsamen Bericht vom 20. Januar 2005 fest, dass „Unterstützungsleistungen“ der Bundeswehr in folgenden Bereichen geboten erscheinen: Spezialfähigkeiten zur Abwehr von Schäden durch ABC-Kampfmittel, Fähigkeiten zur Bewältigung eines Massenanfalls von Verletzten, dabei insbesondere Lufttransportkapazitäten, Fähigkeiten zur Kommunikation, Fähigkeiten zur Pionier- und weiterer Unterstützung.

Während sich die politischen Debatte nur um Luftsicherheit und Seesicherheit dreht, werden gleichzeitig immer neue Militäroptionen genannt, die die Streitkräfte angeblich übernehmen könnten: Bereitstellung von Kommunikationstechnik, logistische Unterstützung, Bereitstellung von Transportkapazitäten (insbesondere Hubschrauber), Schutz von zivilen Objekten (Atomkraftwerke, Industrieanlagen, etc.), Einsatz als Sky Marshall, Sicherung der Grünen Grenze, Migrationsabwehr, Abschuss von gekaperten Passagierflugzeugen, Abwehr eines amphibischen Terrorangriffs, Bekämpfung von Terrorgruppen, medizinische Hilfe, Durchführung der ABC-Abwehr bei Megaterrorismus, etc. Offensichtlich geht nicht „nur“ um den Abschuss von einzelnen Passagierflugzeugen oder Motorbooten, sondern um umfassende Kampfeinsätze im Innern.

Nach dem Willen der CDU/CSU soll die Bundeswehr zukünftig auch unterhalb der Kriegsschwelle – also in Friedenszeiten – zur „Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer“ im Inland eingesetzt werden können. Aber wenn deutsche Soldaten auf deutsche Zivilisten schießen, reicht das Spektrum möglicher Szenarien von Defensivoperationen zur Terrorismus- bzw. Partisanenbekämpfung bis hin zur Bürgerkriegsoffensive. Dann werden Zivilisten geopfert und Soldaten verheizt.

Besonders prekär ist, dass die Bundesregierung die Kompetenzen der Bundeswehr für den militärischen Katastrophenschutz just in dem Augenblick ausweiten will, in dem sich der Bund teilweise aus dem zivilen Katastrophenschutz – aus finanziellen Gründen – zurückzieht. Außerdem fährt die Bundeswehr einen Teil ihrer angepriesenen „Spezialfähigkeiten“ gerade zurück. Die ABC-Truppe löst bis zum Jahresende ihre Bataillone in Albersdorf und Prenzlau auf. Personal und Waffenausstattung werden auf die verbleibenden Einheiten (ABC-Abwehrregiment 750 in Bruchsal, ABC-Abwehrbataillon 7 in Höxter und leichte ABC-Abwehrkompanie 120 in Sonthofen) verteilt. Dies ist zwar keine Reduzierung des Gesamtpotentials, aber ein erheblicher Rückzug aus der Fläche. So hatte sich die Berliner Feuerwehr bislang darauf verlassen, dass bei einem Einsatzfall das Prenzlauer ABC-Abwehrbataillon 805 verfügbar wäre. So ist die Auseinandersetzung über Bundeswehreinsätze im Innern durch Ungereimtheiten und Widersprüche geprägt.

Haltung der Militärs

Aus militärischer Sicht ist eine Ausweitung der Inlandseinsätze der Bundeswehr zweischneidig. Auf der einen Seite gewinnt die Generalität größere innenpolitische Macht, ohne dass sie sich dafür besonders anstrengen müsste, andererseits könnten die politischen Auseinandersetzungen in einem fortschreitenden Legitimierungsverlust der Bundeswehr enden. Daher hält sich die Generalität in dieser Frage weitgehend bedeckt. Sie lehnt Kampfeinsätze der Streitkräfte im Innern nicht prinzipiell ab, verlangt aber eine verfassungsändernde Klarstellung. Eine Bereitstellung gesonderter Truppenteile für Inlandseinsätze wird abgelehnt. Außerdem besteht die militärische Bundeswehrführung darauf, dass alle eingesetzten Truppenteile ausschließlich einem militärischen Befehlshaber unterstellt bleiben, auch wenn die Gesamtführung bei einem zivilen Stab angesiedelt sein mag.

So bekannte der Generalinspekteur der Bundeswehr, General Wolfgang Schneiderhan, im Jahr 2004, dass über den Unglücks-, Katastrophen- und sonstigen Notfall hinausgehend „Angehörige der Bundeswehr und Reservisten für bewaffnete Einsätze im Innern der Bundesrepublik Deutschland herangezogen werden sollen, die über die bisher als üblich und rechtlich zulässig betrachteten Einsätze hinausgehen.“

Im Gegensatz dazu lehnt der Deutsche Bundeswehrverband (DBwV) solche Kampfeinsätze weitgehend ab. „Soldaten sind keine billige Hilfspolizei und dürfen das auch nicht werden“, betonte der Verbandsvorsitzende Oberst Bernhard Gertz. Jedoch vermeidet der Verband eine militärpolitische Grundsatzdebatte, sondern macht stattdessen vor allem pragmatische Gründe geltend. Die Truppe sei durch die zahlreichen Auslandseinsätze bereits jetzt voll ausgelastet. Die Soldaten hätten für Inlandseinsätze angeblich keine adäquate Ausbildung und eine angemessene Ausrüstung würde fehlen. Außerdem sieht der Bundeswehrverband Probleme beim Schusswaffengebrauch.

Auch innerhalb der Polizeigewerkschaft regt sich Kritik an den Unionsplänen. Der GdP-Vorsitzende Konrad Freiberg beharrte im Mai 2007: „Es besteht weiterhin eine Trennung von innerer und äußerer Sicherheit. Daran sollten wir festhalten.“ Sein Stellvertreter Oliver Witthaut hatte schon vorher konstatiert, eigentlich habe die Bundeswehr im Innern gar nichts zu suchen. Lediglich logistische Unterstützung sei angebracht, aber stattdessen wolle die CDU mit ihren ständigen Forderungen immer wieder „noch einen drauf legen“.

Heutige Verfassungsbestimmungen zum Einsatz der Bundeswehr im Innern

Um die Debatte um eine Grundgesetzänderung zu verstehen, ist es notwendig, sich einmal mit der heutigen Gesetzeslage vertraut zu machen. Bislang ist ein militärischer Einsatz der Bundeswehr im Landesinneren weitgehend ausgeschlossen. Das Grundgesetz erlaubt in Friedenszeiten lediglich einen Einsatz der Soldaten „zur Hilfe bei einer Naturkatastrophe oder bei einem besonders schweren Unglücksfall“. Dabei läßt das Grundgesetz völlig offen, welche konkreten Aufgaben die Bundeswehr im Einzelfall wahrnehmen könnte.

In Artikel 35 (Rechts- und Amtshilfe; Katastrophenhilfe) heißt es:

(1) Alle Behörden des Bundes und der Länder leisten sich gegenseitig Rechts- und Amtshilfe. (2) Zur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung kann ein Land in Fällen von besonderer Bedeutung Kräfte und Einrichtungen des Bundesgrenzschutzes zur Unterstützung seiner Polizei anfordern, wenn die Polizei ohne diese Unterstützung eine Aufgabe nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten erfüllen könnte. Zur Hilfe bei einer Naturkatastrophe oder bei einem besonders schweren Unglücksfall kann ein Land Polizeikräfte anderer Länder, Kräfte und Einrichtungen anderer Verwaltungen sowie des Bundesgrenzschutzes und der Streitkräfte anfordern. (3) Gefährdet die Naturkatastrophe oder der Unglücksfall das Gebiet mehr als eines Landes, so kann die Bundesregierung, soweit es zur wirksamen Bekämpfung erforderlich ist, den Landesregierungen die Weisung erteilen, Polizeikräfte anderen Ländern zur Verfügung zu stellen, sowie Einheiten des Bundesgrenzschutzes und der Streitkräfte zur Unterstützung der Polizeikräfte einsetzen. Maßnahmen der Bundesregierung nach Satz 1 sind jederzeit auf Verlangen des Bundesrates, im übrigen unverzüglich nach Beseitigung der Gefahr aufzuheben.

Darüber hinaus erlaubt das Grundgesetz den Einsatz der Bundeswehr im Innern nur „zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines (Bundes-)Landes“ (Art. 87a Abs. 4), wenn „das Land, in dem die Gefahr droht, nicht selbst zur Bekämpfung der Gefahr bereit oder in der Lage ist“ (Art. 91 Abs. 2).

Der Artikel 87a (Aufstellung und Einsatz der Streitkräfte) besagt:

(1) Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf. Ihre zahlenmäßige Stärke und die Grundzüge ihrer Organisation müssen sich aus dem Haushaltsplan ergeben. (2) Außer zur Verteidigung dürfen die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zuläßt. (3) Die Streitkräfte haben im Verteidigungsfalle und im Spannungsfalle die Befugnis, zivile Objekte zu schützen und Aufgaben der Verkehrsregelung wahrzunehmen, soweit dies zur Erfüllung ihres Verteidigungsauftrages erforderlich ist. Außerdem kann den Streitkräften im Verteidigungsfalle und im Spannungsfalle der Schutz ziviler Objekte auch zur Unterstützung polizeilicher Maßnahmen übertragen werden; die Streitkräfte wirken dabei mit den zuständigen Behörden zusammen. (4) Zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes kann die Bundesregierung, wenn die Voraussetzungen des Artikels 91 Abs. 2 vorliegen und die Polizeikräfte sowie der Bundesgrenzschutz nicht ausreichen, Streitkräfte zur Unterstützung der Polizei und des Bundesgrenzschutzes beim Schutze von zivilen Objekten und bei der Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer einsetzen. Der Einsatz von Streitkräften ist einzustellen, wenn der Bundestag oder der Bundesrat es verlangen.

Was einen Einsatz der Bundeswehr im Innern anbelangt, ist das Grundgesetz also nicht eindeutig, wenn etwa von „Amtshilfe,“„Hilfe bei einer Naturkatastrophe oder bei einem besonders schweren Unglücksfall“ oder „Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung“ die Rede ist. Was ist schon „Glück“, was ist „Unglück“, was „eine drohende Gefahr“? Zur Regelung der Eingriffs- und Einsatzrechte von Streitkräften sind solche Grundgesetz-Parolen kaum geeignet. Folglich sind die Parteien darüber zerstritten, in welchem Umfang die bestehenden Gesetzesbestimmungen einen Einsatz der Bundeswehr zur Terroristenbekämpfung rechtlich erlauben, oder ob dies eine entsprechende Änderung des Grundgesetzes voraussetzt. Nur was die konkreten Aufgaben der Streitkräfte bei einem Inlandseinsatz betrifft, sind die Bestimmungen des Grundgesetzes in seiner gegenwärtigen Form ziemlich klar: 1. zivile Objekte schützen, 2. (militärische) Verkehrsregelung, und 3. Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer.

Seit der Einführung der Notstandsgesetze in den sechziger Jahren hat es um die Aufstandsbekämpfung erhebliche politische Auseinandersetzungen gegeben. Damals sprach man vom „verdeckten Kampf“, heute ist die Rede von „Operationen gegen Irreguläre Kräfte“ (OpIK).

Verfassungsbestimmungen zum Ausnahmezustand

Während das Grundgesetz der Bundeswehr immerhin konkrete Aufgaben im Innern zuweist, ist es bei der allgemeinen Regelung eines konstitutionellen Ausnahmezustandes weit weniger exakt.

Unsere Gesetzeslage kennt verschiedene Formen des Ausnahmezustandes: „Gesetzgebungsnotstand“, „Innerer Notstand“, „Spannungsfall“, „Verteidigungsfall“ und den „Rechtfertigenden Notstand“.

Ein „Gesetzgebungsnotstand“ gemäß Art. 81 gibt dem Bundeskanzler eine autoritative Machtfülle. Er kann ein fragwürdiges Gesetz durchdrücken, obwohl ihm die notwendige Parlamentsmehrheit dazu fehlt, wenn der Bundestag vorher eine Vertrauensfrage des Kanzlers abgelehnt hat. Allerdings muss der Bundespräsident in dieser Regierungskrise den „Gesetzgebungsnotstand“ erklären und der Bundesrat muss dem Gesetz zustimmen. Der „Innere Notstand“ ist laut Art. 91 Abs. 1 gegeben bei „einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes“. Das Vorliegen eines „Spannungsfalles“ muss laut Art. 80a Abs. 2 vom Bundestag mit zwei Drittel seiner Stimmen festgestellt werden. Allerdings definiert das Grundgesetz nicht, was unter einem „Spannungsfall“ zu verstehen ist. Gemeinhin wird angenommen, dass ein „Spannungsfall“ eine Vorform des „Verteidigungsfalles“ sein soll. Ein „Verteidigungsfall“ (V-Fall) liegt laut Art. 115a Abs. 1 vor bei „Feststellung, dass das Bundesgebiet mit Waffengewalt angegriffen wird oder ein solcher Angriff unmittelbar droht“.

Allerdings ist die Verfassungslage keineswegs eindeutig, wenn es beispielsweise um die Begrifflichkeiten oder die Kompetenzverteilung der Verfassungsorgane geht. So kann nach Art. 115a eine Feststellung des Verteidigungsfalles auf dreierlei Weise vorgenommen werden: 1. durch eine Zwei-Drittel-Mehrheit des Bundestages, oder 2. durch eine Zwei-Drittel-Mehrheit des Gemeinsamen Ausschusses des Bundestages, oder 3. durch ein zuständiges Bundesorgan bzw. den Bundespräsidenten. Problematisch ist die zeitliche Festsetzung des „Verteidigungsfalles“: 1. Kann der Bundestag den „Verteidigungsfall“ schon im Voraus verkünden, obwohl (noch) kein Angriff vorliegt, 2. kann der Bundespräsident erst im Nachhinein verkünden, dass ein „Verteidigungsfall“ bereits zu einem früheren Zeitpunkt vorgelegen habe, obwohl er noch nicht verkündigt worden war.

Durch diese verfassungsrechtlichen Unzulänglichkeiten stellt sich die Problematik von Präventiv- und Präemptivangriffen. So könnte der Bundespräsidenten am Dienstag verkünden, dass sich das Bundesgebiet in Erwartung eines Angriffs seit Montag im Verteidigungsfall befindet, obwohl der besagte Angriff weder am Montag, noch am Dienstag, noch an einem der folgenden Tage tatsächlich erfolgt.

Artikel 115a (Begriff und Feststellung) bestimmt:

(1) Die Feststellung, daß das Bundesgebiet mit Waffengewalt angegriffen wird oder ein solcher Angriff unmittelbar droht (Verteidigungsfall), trifft der Bundestag mit Zustimmung des Bundesrates. Die Feststellung erfolgt auf Antrag der Bundesregierung und bedarf einer Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen, mindestens der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages. (2) Erfordert die Lage unabweisbar ein sofortiges Handeln und stehen einem rechtzeitigen Zusammentritt des Bundestages unüberwindliche Hindernisse entgegen oder ist er nicht beschlußfähig, so trifft der Gemeinsame Ausschuß diese Feststellung mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen, mindestens der Mehrheit seiner Mitglieder. (3) Die Feststellung wird vom Bundespräsidenten gemäß Artikel 82 im Bundesgesetzblatte verkündet. Ist dies nicht rechtzeitig möglich, so erfolgt die Verkündung in anderer Weise; sie ist im Bundesgesetzblatte nachzuholen, sobald die Umstände es zulassen. (4) Wird das Bundesgebiet mit Waffengewalt angegriffen und sind die zuständigen Bundesorgane außerstande, sofort die Feststellung nach Absatz 1 Satz 1 zu treffen, so gilt diese Feststellung als getroffen und als zu dem Zeitpunkt verkündet, in dem der Angriff begonnen hat. Der Bundespräsident gibt diesen Zeitpunkt bekannt, sobald die Umstände es zulassen. (5) Ist die Feststellung des Verteidigungsfalles verkündet und wird das Bundesgebiet mit Waffengewalt angegriffen, so kann der Bundespräsident völkerrechtliche Erklärungen über das Bestehen des Verteidigungsfalles mit Zustimmung des Bundestages abgeben. Unter den Voraussetzungen des Absatzes 2 tritt an die Stelle des Bundestages der Gemeinsame Ausschuß.

Die Tatsache, dass im Grundgesetz der „Spannungsfall“ nicht eindeutig definiert ist und Unklarheiten bezüglich der zeitlichen Feststellung und Verkündigung des „Verteidigungsfalles“ bestehen, ist nicht nur ein juristisches Problem, sondern kann gravierende politische Konsequenzen haben, da genau hiervon ein Kampfeinsatz der Bundeswehr im Innern abhängen könnte. So streben Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) und Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) eine Neudefinition der Begriffe „Spannungsfall“ und „Verteidigungsfall“ an, die der Bundeswehr größere Handlungsmöglichkeiten verschaffen soll. Schäuble sprach im Zusammenhang mit dem von ihm angestrebten Abschußssvon gekidnappten Passagierflugzeugen von einem Quasi-Verteidigungsfall. Außerdem behauptet Schäuble in einer exzessiven Interpretation des Rechts auf Selbstverteidigung, internationale Gremien, in denen die Bundesregierung kein ständiges Mitglied ist, könnten die Verfassungskompetenzen deutscher Bundesorgane einfach übernehmen. In einem Interview mit der Sächsischen Zeitung vom 13. Juli 2007 erklärte der Bundesinnenminister:

Ich habe lediglich darauf hingewiesen, dass selbst im Verteidigungsfall nach Artikel 51 der Uno-Charta – in diesem Status befinden wir uns durch einen Beschluss des Weltsicherheitsrates vom 12. September 2001 – die Frage des Kombattanten-Status nicht wirklich befriedigend geklärt ist.

Schließlich gibt es noch den „rechtfertigenden Notstand“ (manchmal auch „übergesetzlicher Notstand“). Dieser Gummiparagraph stammt nicht aus dem Grundgesetz, sondern „nur“ aus dem Strafgesetzbuch, hat also keinen Verfassungsrang. Er wurde 1975 im Zusammenhang mit der Liberalisierung des Paragraphen 218 in das Strafgesetzbuch aufgenommen und diente eigentlich dazu die Ärzte, die eine Abtreibung vornehmen wollten, vor Strafverfolgung zu schützen. Tatsächlich wird der Paragraph heute von der Bundesregierung mißbraucht, um in Ausnahmesituationen der „Staatsräson“ eine pseudolegale Rechtsgrundlage zu liefern. Erstmals wurde der „rechtfertigende Notstand“ während der Schleyerentführung im Jahr 1977 exekutiert. So gilt der Paragraph 34 als Musterbeispiel dafür, wie ein für einen bestimmten Zweck eingeführtes Gesetz jederzeit „umfunktioniert“ werden kann.

In § 34 StGB heißt es:

Wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ein anderes Rechtsgut eine Tat begeht, um die Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden, handelt nicht rechtswidrig, wenn bei Abwägung der widerstreitenden Interessen, namentlich der betroffenen Rechtsgüter und des Grades der ihnen drohenden Gefahren, das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt. Dies gilt jedoch nur, soweit die Tat ein angemessenes Mittel ist, die Gefahr abzuwenden.

Der Nationale Territoriale Befehlshaber

Während die militärpolitische Debatte über Inlandseinsätze und Verfassungsfragen andauert, sind die Militärs schon längst aktiv geworden und haben ihre Organisationsstrukturen an die zukünftigen Aufgaben angepasst. Bereits im Jahr 2000 beschloss die Bundeswehrführung eine weitreichende Streitkräftereform. In allen drei Teilstreitkräften (Heer, Luftwaffe und Marine) vorhandene Truppengattungen wurden aus ihrer jeweiligen Streitkraft herausgelöst und zu einer gemeinsamen Streitkräftebasis (SKB) vereinigt. An deren Spitze steht das so genannte Streitkräfteunterstützungskommando (SKUKdo), das am 10. April 2001 seinen Dienst aufnahm. Es ist aber nicht nur Führungskommando für die SKB, sondern zugleich Oberste Nationale Territoriale Kommandobehörde. Alle Bundeswehreinsätze im Innern werden letztendlich durch den Kommandeur des SKUKdo geführt. Dies ist z. Zt. Generalleutnant Kersten Kahl, sein Stellvertreter ist Generalmajor Klaus-Peter Treche, als Chef des Stabes fungiert Kapitän zur See Wolfgang Bremer.

In der Konzeption der Bundeswehr (KdB) vom 9. August 2004 heißt es über die Funktionen unseres neuen, nationalen, militärischen Führers:

Der Befehlshaber des SKUKdo ist „Nationaler Territorialer Befehlshaber“. Er koordiniert mit den Befehlshabern der anderen FüKdo und den Dienststellenleiterinnen und –leitern vergleichbarer Dienststellen der zivilen Organisationsbereiche die bundeswehrgemeinsame Erfüllung folgender weiterer wahrzunehmender Aufgabenanteile, die im Frieden sowie Spannungs- und/oder Verteidigungsfall ausschließlich auf deutschem Staatsgebiet und in nationaler Verantwortung wahrgenommen werden. Diese Aufgabenanteile werden unter dem Begriff Territoriale Aufgaben der Bundeswehr (TA Bw) zusammengefasst und beinhalten im Wesentlichen: Unterstützung von Kräften und Einrichtungen des Bündnisses sowie von einzelnen Verbündeten und Partnern in Deutschland, Mittlerfunktion zwischen deutschen zivilen und militärischen Stellen zu Kräften und Einrichtungen des Bündnisses sowie zu einzelnen Verbündeten und Partnern in Deutschland, Amtshilfe, Hilfeleistungen im Inland bei Naturkatastrophen und besonders schweren Unglücksfällen, sonstige Hilfeleistungen, Schutz der Bevölkerung und der lebenswichtigen Infrastruktur vor asymmetrischen und terroristischen Bedrohungen durch Unterstützung der für innere Sicherheit zuständigen zivilen Stellen im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben, Unterstützung der Nationalen Zivilen Verteidigung als Teil der gesamtstaatlichen Sicherheitsvorsorge in Deutschland.

Die Streitkräftebasis ist quasi eine Bundeswehr innerhalb der Bundeswehr. Zu ihr gehören alles in allem 55.000 Soldaten und 22.000 Zivilbedienstete. Das Hauptquartier des SKUKdo befindet sich in der Luftwaffenkaserne auf dem Fliegerhorst Köln-Wahn. Der Stab ist mit rund 1.100 Mann recht umfangreich und in acht Abteilungen (G1 bis G6, ABC Abwehr und Schutzaufgaben, Verwaltung) gegliedert. Als Operationschef fungiert der G3-Stabsabteilungsleiter Oberst i. G. Bernhard Frank. Als militärischer Geheimnisträger schweigt er sich darüber aus, mit welchen schönen Plänen er das deutsche Volk überraschen möchte. Die Generalstabsabteilung G6 ist mit ihrem Lagezentrum nach Rheinbach ausgelagert. Hier laufen ständig alle Informationen aus ganz Deutschland und von den Bundeswehr-Operationsgebieten im Ausland zusammen. Ebenfalls in Rheinbach befindet sich die Netzführungszentrale zur betriebstechnischen Steuerung des militärischen Führungs- und Informationssystem der Bundeswehr. Der Stab führt die Bundeswehreinheiten für strategische Aufklärung, psychologische Kriegsführung, Militärpolizei, ABC-Abwehr, Kampfmittelbeseitigung, Logistik und Zivil-Militärische Zusammenarbeit.

Dem Streitkräfteunterstützungskommando sind gegenwärtig u.a. folgende Militärdienststellen unterstellt: das Kommando Strategische Aufklärung (KdoStratAufkl) mit seinen Eloka-Einheiten in Rheinbach, das Zentrum für Nachrichtenwesen der Bundeswehr (ZNBw) als militärischer Geheimdienstsapparat in Grafschaft, das Zentrum für Operative Information (ZOpInfo) mit dem Soldatensender „Radio Andernach“ in Mayen, das Zentrum für Kampfmittelbeseitigung (ZkpfmBesBw) mit seinen Sprengstoffexperten in Stetten, das Logistikzentrum (LogZBw) in Wilhelmshaven mit seinen bundesweit 42 Militärdepots, das Amt für Geoinformation (AGeoBw) in Euskirchen und die Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS) in Berlin-Pankow.

In der politischen Debatte wird zwar heftig über eine fortdauernde Trennung zwischen Polizei und Militär sinniert, dabei vergessen die Politiker aber völlig die Militärpolizei des Streitkräfteunterstützungskommandos. Die Aufgabe der so genannten Feldjäger besteht darin, Straftaten gegen die Bundeswehr zu verhindern. Dazu führt sie im Umfeld von Militärobjekten Streifen durch, sichert Bundeswehrveranstaltungen, schützt Munitionstransporte, führt Personen- und Gepäckkontrollen durch, regelt den militärischen Straßenverkehr und fahndet nach Deserteuren. Nicht zuletzt soll die Militärpolizei bei Konfrontation mit gewaltbereiten Menschenmassen zur so genannten Crowd- and Riot Control eingesetzt werden. Bei jedem größeren Einsatz der Bundeswehr im Innern ist es daher unvermeidlich, dass die Bundeswehr mit ihren bewaffneten Feldjägern hoheitliche Funktionen wahrnimmt.

Zur Streitkräftebasis gehören heute 8 Feldjägerbataillone mit insgesamt 31 Feldjägerkompanien: 2.Kompanie / 151. Bataillon (Neubrandenburg), 3. Kompanie /151. Bataillon (Hagenow), 4./151. (Hamburg), 5./151. (Eckernförde), 2./152 (Hannover), 3./152 (Munster), 4./152. (Wilhelmshaven), 5./152. (Bremen), 2./251. (Mainz), 3./251. (Koblenz), 4./251. (Rotenburg), 5./251. (Zweibrücken), 2./252. (Hilden), 3./252. (Bonn), 4./252. (Augustdorf), 5./252. (Münster), 2./350. (Berlin), 3./350. (Berlin), 4./350. (Storkow), 2./351. (Leipzig), 3./351. (Erfurt), 4./351. (Potsdam), 5./351. (Burg), 2./451. (München), 3./451. (Roding), 4./451. (Amberg), 5./451. (Murnau), 2./452. (Sigmaringen), 3./452. (Bruchsal), 4./452. (Ulm) und 5./452. (Veitshochheim).

Territoriale Wehrorganisation

Von der Öffentlichkeit unbeachtet, strukturiert die Bundeswehr gegenwärtig ihre Territorialorganisation um. In Anpassung an den föderativen Aufbau der zivilen Exekutive in der Bundesrepublik Deutschland wird eine militärische Parallelorganisation geschaffen. Als militärischer Ansprechpartner der Bundesregierung bzw. der Interministeriellen Koordinierungsgruppe des Bundes und der Länder (IntMinKoGr) fungiert die Generalstabsabteilung FüS V im Bundesverteidigungsministerium. Diesen nachgeordnet sind das zivile Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenvorsorge (BBK) bzw. das Streitkräfteunterstützungskommando. Dem SKUKdo sind die vier Wehrbereichskommandos (WBK) in Kiel, Mainz, Erfurt und München unterstellt. Im Ereignisfall mobilisieren deren Generalstäbe die ihnen unterstellten Truppenteile und übernehmen deren operative Führung. Analog zur zivilen Staatsgliederung in 16 Bundesländer, Regierungsbezirke, Kreise und kreisfreie Städte ist das gesamte Territorium in 16 militärische Landeskommandos (inklusive Standortkommando Berlin), 31 Bezirksverbindungskommandos (BVK) und 426 Kreisverbindungskommandos (KVK) aufgeteilt.

Die Landeskommandos (Lkdo) fungieren als Ansprechpartner der Landesregierungen. Sie haben bundesweit eine einheitliche Grundstruktur, jedoch je nach der Größe ihres Bundeslandes eine unterschiedliche personelle Ausstattung. Im Bedarfsfall erarbeiten sie ein militärisches Lagebild und unterstützen die Wehrbereichskommandos bei der operativen Führung der Truppen. Die Landeskommandos stellen insgesamt 32 Regionale Planungs- und Unterstützungstrupps (RegPl/UstgTrp) auf, die kurzfristig schon in der Anfangsphase eines Katastrophenfalles Unterstützungsaufgaben in den nachgeordneten Bezirken und Kreisen übernehmen können. „Wir sind innerhalb von Stunden verfügbar“, betonte Vizeadmiral Wolfram Kühn, Inspekteur der Streitkräftebasis.

Die Standorte der regionalen Trupps sind Arnsberg, Bad Salzungen, Bayreuth, Bogen, Diepholz, Erding, Frankfurt, Freiburg, Gera, Holzminden, Husum, Karlsruhe, Kleinaitingen, Köln, Leipzig, Marienberg, Münster, Nürnberg, Oldenburg, Parow, Regensburg, Rothenburg/Wümme, Schönewalde, Schwerin, Speyer, Stadtallendorf, Stetten a. k. M., Strausberg, Trier, Veitshöchheim, Weissenfels und Wesel.

Die militärischen Verbindungskommandos auf Ebene der Bezirke und Kreise umfassen jeweils zwölf Soldaten, dass sind bundesweit fast 5.500 Mann. Diese Stabszellen werden jeweils geführt von einem „Beauftragten der Bundeswehr für Zivil-Militärische Zusammenarbeit“ (BeaBwZMZ). Es handelt sind dabei um hochrangige Reserveoffiziere (mindestens Oberstleutnant), die heimatnah als Verbindungsoffiziere der Bundeswehr zu den zivilen Exekutivbehörden eingesetzt werden.

Deren Funktion wird in einer Darstellung von Claus Rosenbauer und Manfred Kreis (beide Oberst) wie folgt umschrieben:

Die BeaBwZMZ auf der Bezirks- und Kreisebene sind die ständigen ortsbezogenen Repräsentanten der Bundeswehr im freiwilligen Reservistenstatus. Sie vertreten jeweils im Routinebetrieb (Grundbetrieb) und im Katastrophenfall die Interessen der Bundeswehr (!) gegenüber den zivilen Dienststellen und der Öffentlichkeit. Sie beraten die zivilen Entscheidungsträger hinsichtlich der Unterstützungsmöglichkeiten der Bundeswehr und der Anforderung von Kräften. Sie unterstützen die im Katastrophenfall vor Ort eingesetzten Truppenteile der Bundeswehr. Dazu halten sie enge Verbindung und Arbeitsbeziehungen zu den Bezirken, Landkreisen und Städten, aber auch zu militärischen Dienststellen in ihrem Zuständigkeitsbereich.

Die Ausbildung der Reserveoffiziere zum BeaBwZMZ dauert ein bis zwei Jahre. Ihre normale Tätigkeit wird – außer im Einsatzfall – mit monatlich rund 20 Stunden angegeben, die entsprechend vergütet werden. Allerdings rechnet man mit Rekrutierungsproblemen, da die umworbenen Reserveoffiziere im Zivilleben weiterhin ihrem Beruf nachgehen, sich um ihre Familien kümmern müssen und bereits bei Reserveeinheiten Dienst tun.

Beim der länderübergreifenden Katastrophenschutzübung ARCHE 05 im Oktober 2005, an der zehn zivilen Krisenstäbe und das Wehrbereichskommando I „Küste“ eingebunden waren, wurde erstmals der Einsatz der BeaBwZMZ erprobt. Seit Januar 2007 werden die Landes-, Bezirks- und Kreiskommandos aufgebaut. Bis Jahresende soll in jedem BVK/KVK mindestens ein Stabsoffizier verfügbar sein.

Mit der Reform der Territorialstruktur wird offiziell die Bundeswehrhilfe zum Katastrophenschutz verbessert, was grundsätzlich zu begrüßen ist. Allerdings trägt dies gleichzeitig zu dessen Militarisierung bei. Darüber hinaus bleibt abzuwarten, ob der Aufbau dieser scheinbar harmlosen Stabsstruktur von den Militärs eines Tages bei einem Ausnahmezustand dazu benutzt werden wird, um ein militärisches Schattenregime zu errichten - mit Kollateralschäden an der freiheitlich-demokratischen Grundordnung.

Ausbau der Zivil-Militärischen Zusammenarbeit

Mit der Reorganisation der territorialen Kommandostrukturen wurde auch deren Aufgabenbereich modifiziert. Dies gilt insbesondere für die Zivil-Militärische Zusammenarbeit (ZMZ) bzw. Civil-Military Co-operation (CIMIC). Bei Militäroperationen, egal ob Inlands- oder Auslandseinsätzen in Bürgerkriegsgebieten, ist der Einsatzerfolg in zunehmenden Maße von der Zusammenarbeit mit zivilen Behörden, Organisationen und Bevölkerungsgruppen abhängig. Dabei unterscheidet die Bundeswehr zwischen der Zivil-Militärischen Zusammenarbeit im Inland (ZMZ/I) und der Zivil-Militärischen Zusammenarbeit im Ausland (ZMZ/A).

In einer Darstellung der Bundeswehr wird ZMZ wie folgt definiert:

ZMZ Bw umfasst alle Maßnahmen, Kräfte und Mittel, welche die Beziehungen zwischen Dienststellen der Bundeswehr auf der einen Seite und zivilen Behörden sowie der Zivilbevölkerung auf der anderen Seite regeln, unterstützen oder fördern. Dies gilt sowohl innerhalb Deutschlands als auch bei Einsätzen der Bundeswehr im Ausland. (...) Während es früher darum ging, durch ZMZ den originären militärischen Auftrag der bündnisgemeinsamen Landesverteidigung zu unterstützen, (...) so richtet sie sich heute vor allem an neuen gesamtstaatlichen übergreifenden Sicherheitskonzepten aus.

Dazu beschaffen die CIMIC-Soldaten im Einsatzgebiet Informationen über die politischen und gesellschaftlichen Strukturen vor Ort: Wer sind die lokalen Entscheidungsträger? Welche Ethnien leben im Einsatzgebiet? Wie ist es um Infrastruktur, Gesundheit und Bildung der Bevölkerung bestellt? Wo lauern latente Konflikte? Um dieses „zivile Lagebild“ zu erstellen, knüpfen die CIMIC-Soldaten Kontakte zu den einheimischen Autoritäten, bauen entsprechende Netzwerke auf und pflegen Kontakte zu den lokalen Medien oder werten das Internet aus. Die Informationen sollen dem militärischen Befehlshaber bei der Planung und Durchführung seiner Operationen unterstützen. Dazu dient auch die Organisierung von Hilfsmaßnahmen, von der die Zivilbevölkerung profitiert.

Die Führung der ZMZ-Kräfte liegt beim Streitkräfteunterstützungskommando mit seiner Stabsabteilung G5 unter Leitung von Oberst i. G. Volker Ehlers. Im Rahmen der so genannten „Zielstruktur 2010“ werden in den kommenden Jahren bundesweit 16 „ZMZ-Stützpunkte“ aufgebaut. Es handelt sich um 9 Sanitäts-, 5 Pionier- und zwei ABC-Abwehreinheiten mit insgesamt 5.000 Reservisten, die für Hilfeleistungen bei Naturkatastrophen und schweren Unglücksfällen besonders ausgebildet sind und schnell eingesetzt werden können:

Es handelt sich um folgende Verbände: Lazarettregiment 11 (Seeth), Lazarettregiment 21 (Rennerod), Lazarettregiment 31 (Berlin), Lazarettregiment 41 (Ulm), Sanitätsregiment 12 (Schwanewede), Sanitätsregiment 22 (Ahlen), Sanitätsregiment 32 (Weissenfels), Gebirgssanitätsregiment 42 (Kempten), Sanitätslehrregiment (Feldkirchen), ABC-Abwehrbataillon 7 (Höxter), ABC-Abwehrbataillon 750 (Bruchsal, soll auf Regimentsstärke aufwachsen), Pionierbataillon 803 (Havelberg), Pionierbataillon (Marienberg?), Pionierbataillon (Viereck?), Spezialpionierbataillon 164 (Husum) und Spezialpionierbataillon 464 (Speyer).

Hinzu kommt das „CIMIC-Zentrum“ in Nienburg mit ca. 350 Soldaten. Dessen Einsatzlagezentrum organisiert und unterstützt das CIMIC-Kontingent bei Auslandseinsätzen und koordiniert die Ausbildung. Weitere Lehrgänge für die CIMIC-Soldaten halten die Akademie für Krisenmanagement, Notfallplanung und Zivilschutz (AKNZ) des Bundesinnenministeriums in Bad Neuenahr sowie die NATO Shape School in Oberammergau ab. In diesem Zusammenhang ist auch die Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS) der Bundeswehr in Berlin-Pankow zu erwähnen. Hier werden jährlich 25 bis 30 Führungskräfte aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft mit den Intimitäten der Sicherheitspolitik vertraut gemacht, ein Medienforum weist Chefredakteure von bürgerlichen Zeitungen und Zeitschriften in die Feinheiten der psychologischen Kriegführung ein, damit sie sich bei Bedarf problemlos selbst „gleichschalten“ können. Derzeitiger Leiter der Akademie ist Dr. Rudolf Adam. Als ehemaliger Vizedirektor des Bundesnachrichtendienstes (2001 bis 2004) kennt er sich im Umgang mit unliebsamen Journalisten bestimmt aus.

Grundlage der ZMZ-Konzeption der Bundeswehr ist das Dokument des NATO-Militärausschusses MC 411/1 NATO Military Policy on Civil-Military Co-Operation. Darin geht es um das Macht- und Spannungsverhältnis zwischen zivilen Autoritäten und militärischen Befehlshabern. Es liegt im Auge des Betrachters, ob die NATO hier einen latenten Putschismus oder vielmehr dessen Gegenteil propagiert:

The military will normally only be responsible for security related tasks and for support to the appropriate civil authority -within means and capabilities- for the implementation of civil tasks when this has been agreed by the appropriate military commander in accordance with the OPLAN and the mandated civil authorities, if applicable. In exceptional circumstances, the military may be required to take on tasks normally the responsibility of a mandated civil authority, organisation or agency. These tasks will only be taken on where the appropriate civil body is not present or is unable to carry out its mandate and where an otherwise unacceptable vacuum would arise. The military should be prepared to undertake, when requested by the cognisant civil authority and approved by NATO, such tasks necessary , until the mandated civil authority, organisation or agency is prepared to assume them. Responsibility for civil related tasks will be handed over to the appropriate civil authority, organisation or agency as soon as is practical and in as smooth a manner as possible.

Auch hierzulande sind sich Politiker und Militärs dieser Problematik durchaus bewusst. So betonte die Berliner Senatsinnenverwaltung in einem Schreiben vom 30. Mai 2006, dass die Wahrung des Prinzips des Primats der Politik die Unterstellung militärischer Einheitsführern unter die Befehlsgewalt eines zivilen Gesamteinsatzleiters in jedem Fall gebietet:

Bei einem „Einsatz der Bundeswehr bei Naturkatastrophen und besonders schweren Unglücksfällen“ stehen ihr hoheitliche Befugnisse auch polizeilicher Art zu, soweit sie zur Durchführung der Hilfeleistung erforderlich sind. Die Zuständigkeit des Landes Berlin bzw. die Zuständigkeit der von der Senatsverwaltung beauftragten Katastrophenschutzbehörde wird durch den Einsatz der Bundeswehr bei Naturkatastrophen und besonders schweren Unglücksfällen nicht berührt. Der Gesamteinsatzleiter ist befugt, dem den Einsatz der Kräfte der Bundeswehr leitenden Offizier Weisungen im Aufgabenbereich zu erteilen.

Einsätze der Bundeswehr im Innern

Der Ausbau der Zivil-Militärischen Zusammenarbeit hat schon heute messbare Auswirkungen auf die Inlandseinsätze der Bundeswehr. So fast sie ihre „Territorialen Aufgaben“ (TA) mittlerweile sehr weit. Der Trend geht zu immer mehr und immer größeren Einsätzen. Außerdem setzten die Streitkräfte bei zwei Einsätzen in München und Heiligendamm bereits bewaffnete Soldaten ein. Noch wurde nicht geschossen!

Zu den kleineren Inlandsoperationen der Bundeswehr zählen die so genannten „Leistungen gegenüber Dritten“, für die es keine verfassungsmäßigen Bestimmungen gibt. So hilft die Bundeswehr regelmäßig bei sportlichen Großveranstaltungen wie der Kieler Woche oder dem Berlin Marathon. Die größte dieser „Leistungen gegenüber Dritten“ war die Unterstützung der Fußballweltmeisterschaft 2006 mit rund 2.000 Soldaten und 200 Fahrzeugen; weitere 5.000 Mann standen für den Bedarfsfall in Bereitschaft. Außerdem tritt die Bundeswehr bei den jährlichen Wehrkundetagungen in München auf. Darüber hinaus unterstützen die Soldaten bei Weihnachtsmärkten, leisten Behindertenhilfe, helfen mal beim Umbau eines Ponystalles oder beim Seniorenwandertag. Seit dem 1. Januar 1997 rückte die Bundeswehr 210 mal zu solchen Unterstützungsleistungen aus. Dabei war ein Fall besonders kritisch: Bei der Münchner Konferenz für Sicherheitspolitik vom 9. bis 11. Februar 2007 setzte die Bundeswehr 400 Soldaten ein, darunter erstmals 90 bewaffnete Kräfte, die Ordnungsfunktionen wahrnahmen. Somit stellt der Münchner Einsatz einen Präzedenzfall für bewaffnete Bundeswehreinsätze im Innern dar.

Des weiteren zählen zu den Inlandsoperationen die Amtshilfeleistungen der Bundeswehr. Sie werden ebenfalls sehr großzügig gehandhabt, da es hierfür keine spezifischen gesetzlichen Bestimmungen gibt. Die Landesregierung, die um Amtshilfe ersucht, prüft selbst, ob hierfür die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit gegeben ist; die um Amtshilfe ersuchte Militäreinheit bestimmt selbst, ob sie in der Lage ist, die angeforderte Hilfe zu erbringen. Seit dem 1. Januar 1997 leistete die Bundeswehr 61 mal „Amtshilfe“. In der Regel betraf dies die Bereitstellung von Unterkünften oder Verpflegung für Polizeikräfte bei den verschiedensten Großereignissen (CASTOR-Transporte, Papstbesuch, Weltjugendtag, etc.). In einzelnen Fällen stellte die Bundeswehr Hubschrauber oder Pioniergerät zur Verfügung.

Als „Amtshilfe“ firmiert offiziell auch der Militäreinsatz beim G8-Gipfel vom 6. bis 8. Juni 2007 in Heiligendamm. Diese Operation war ein Präzedenzfall, weil hier bewaffnete Soldaten mittelbar gegen unbewaffnete Demonstranten eingesetzt wurden. Insgesamt setzte die Bundeswehr rund 2450 Soldaten und Zivilbedienstete ein. Der Einsatz verursachte Kosten in Höhe von rund 10 Millionen Euro. Besonders umstritten sich die sieben Photoaufklärungsmissionen, die jeweils eine Zweierformation aus Tornado Recce vom Aufklärungsgeschwader 51 über die Camps der Demonstranten flogen. Außerdem setzte die Bundeswehr neun Spähpanzer Fennek ein, deren Kommandanten mit einer Pistole P8 bewaffnet waren. Hinzu kamen 641 Feldjäger, die mit Pistole (P7 oder P8) oder mit Sturmgewehr G36 ausgestattet waren. Eine ABC-Abwehreinheit wurde vorsorglich am Krankenhaus in Bad Doberan stationiert, zusätzlich standen zwei Spürpanzer Fuchs in Bereitschaft.

Zu den weiteren Inlandsoperationen zählen die Militäreinsätze bei Naturkatastrophen und besonders schweren Unglücksfällen: Diese subsidiäre Hilfeleistung der Bundeswehr ist bei allen Parteien unstrittig, weil dadurch unmittelbar Menschenleben gerettet und wirtschaftlicher Schaden abgewendet wird. Der erste derartige Einsatz war die Hamburger Sturmflut in der Nacht vom 16. auf den 17. Februar 1962 mit insgesamt 337 Toten. Nachdem er erst am nächsten Morgen informiert wurde, stellte der damalige Hamburger Innensenator Helmut Schmidt fest, dass der zivile Katastrophenschutz völlig überfordert war und ordnete – widerrechtlich – den Einsatz von 8.000 Mann der Bundeswehr an. Obwohl es unter den Soldaten 9 Tote gab, konnten so 1.117 Flutopfern gerettet werden. Schmidt erklärte später: „Wir haben damals das Grundgesetz und die Hamburgische Verfassung und andere Gesetze übertreten, wissentlich und willentlich.“ Erst später wurde das Grundgesetz in Artikel 35 entsprechend geändert und militärische Katastrophenhilfe erlaubt.

In den letzten zehn Jahren (Stichtag 1. Januar 1997) halfen die Soldaten 68 mal bei Katastrophenfällen oder schweren Unglücksfällen (Zugunglücke, Flugzeugabstürze, etc.). Der größte Inlandseinsatz war mit 30.000 Soldaten, 400 Fahrzeugen und 50 Hubschraubern die Katastrophenhilfe beim Oderhochwasser im Juli 1997. Mit der Zunahme von Naturkatastrophen in Folge der fortschreitenden Umweltzerstörung wird diese Art von Inlandseinsätzen bald noch zunehmen. Allerdings darf man den Beitrag der Bundeswehr zum Katastrophenschutz angesichts von 1,1 Millionen Feuerwehrleuten, 600.000 Helfern bei den Hilfsorganisationen (Arbeiter-Samariter-Bund, Deutsches Rotes Kreuz, etc.) und 75.000 Mitgliedern des Technischen Hilfswerks (THW) nicht überbewerten.

Szenario Terroristenbekämpfung in Friedenszeiten

Am 5. September 1977 entführte die Rote Armee Fraktion (RAF) den Arbeitsgeberpräsidenten Hanns-Martin Schleyer. Die Attentäter erschossen seinen Fahrer und drei Polizeibeamte. Ziel des Anschlags war die Freipressung von zehn RAF-Gefangenen. Auf Basis des „übergesetzlichen Notstandes“ reagierte die sozialliberale Regierung Schmidt/Genscher in einer Weise, die später „Deutscher Herbst“ genannt wurde: Die Bundesregierung schaltete durch Einberufung eines Großen Krisenstabes vorübergehend das Parlament aus. Die deutsche Presse ließ sich durch Verhängung einer „Nachrichtensperre“ gleichschalten. Der Rechtsstaat wurde durch Verhängung einer „Kontaktsperre“ per Gesetzesdekret im Hauruck-Verfahren, die den RAF-Gefangenen jeglichen Kontakt untereinander und mit ihren Rechtsanwälten verweigerte, ad absurdum geführt. Durch hunderte von Verkehrskontrollen im Rahmen der Öffentlichkeitsfahndung brach der Straßenverkehr zeitweise zusammen. Für die Suche nach dem Geiselversteck setzte die Bundesregierung – illegaler Weise – auch die Soldaten des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) ein.

Gleichzeitig dachte ein Kleiner Krisenstab über „exotische Lösungen“, wie der Ermordung der RAF-Gefangenen, nach. Als ein palästinensisches Kommando zusätzlich ein Passagierflugzeug entführte, kam es zum ersten Militäreinsatz in der Geschichte der Bundesrepublik. Im Rahmen der „Operation Feuerzauber“ erschoß die GSG 9 drei Entführer und verletzte eine vierte Geiselnehmerin schwer. Der „Deutsche Herbst“ endete am 18. Oktober mit dem Selbstmord dreier RAF-Gefangener in Stuttgart-Stammheim (Baader, Ensslin, Raspe) und der Ermordung von Schleyer am 19. Oktober. Im Nachhinein erklärte Bundeskanzler Helmut Schmidt in einem Spiegel-Interview: „Ich kann nur nachträglich den deutschen Juristen danken, dass sie das alles nicht verfassungsrechtlich untersucht haben.“

Wenn man sich daran erinnert, was die Erschießung von vier Menschen und die Entführung einer weiteren Person damals auf staatlicher Seite auslöste, kann man kaum ermessen, welche Notstandsdynamik und Hexenjagd ein Terroranschlag mit 3000 Toten wie beim 11. September oder gar ein Fall von Megaterrorismus mit hoher Letalität und flächendeckenden Zerstörungen in Deutschland auslösen würde, wenn massenhafte Flüchtlingsströme erst zu einem Zusammenbruch der Versorgung und dann zu einem Zusammenbruch der staatlichen Ordnung führen würden.

Zur militärischen Bekämpfung des Terrorismus hat die NATO mit dem Dokument MC 472 Military Concept for Defence against Terrorism im November 2002 eine Vorgabe verabschiedet. In der Bundesrepublik beschloss die rot-grüne Bundesregierung mit der Neufassung der Verteidigungspolitischen Richtlinien (VPR) durch den Bundesverteidigungsminister am 21. Mai 2003, die Bundeswehr zukünftig zur Terrorismusbekämpfung im Inland einzusetzen:

Zum Schutz der Bevölkerung und der lebenswichtigen Infrastruktur des Landes vor terroristischen und asymmetrischen Bedrohungen wird die Bundeswehr Kräfte und Mittel entsprechend dem Risiko bereithalten. Auch wenn dies vorrangig eine Aufgabe für Kräfte der inneren Sicherheit ist, werden die Streitkräfte im Rahmen der geltenden Gesetze immer dann zur Verfügung stehen, wenn nur sie über die erforderlichen Fähigkeiten verfügen oder wenn der Schutz der Bürgerinnen und Bürger sowie kritischer Infrastruktur nur durch die Bundeswehr gewährleistet werden kann. Grundwehrdienstleistende und Reservisten kommen dabei in ihrer klassischen Rolle, dem Schutz ihres Landes und ihrer Mitbürgerinnen und Mitbürger, zum Einsatz. Die Überwachung des deutschen Luft- und Seeraums sowie die Wahrnehmung luft- und seehoheitlicher Aufgaben in ressortübergreifender Zusammenarbeit sind ständige Aufgaben

In der Konzeption der Bundeswehr (KdB), die der damalige Verteidigungsminister Peter Struck am 9. August 2004 erlassen hat, wurden diese Bestimmungen fast wörtlich übernommen.

Welche spezifischen Aufgaben könnte die Bundeswehr zukünftig übernehmen, die die zivile Polizei nicht schon heute leisten kann? Immerhin verfügt jedes der 16 Bundesländer über umfassende Polizeikräfte (insgesamt 230.000 Mann), hinzu kommen die rund 39.000 Mann der Bundespolizei. Folglich besitzt die Polizei mehr Personal als die Streitkräfte. Außerdem ist zu bedenken, dass die Masse der Streitkräfte lediglich aus Zeitsoldaten und Wehrpflichtigen besteht im Gegensatz zu den Berufsbeamten der Polizei. Trotz ihres umfangreichen militärischen Aufklärungsapparates könnte die Bundeswehr Terroranschläge nicht verhindern. Und trotz der Feldjägertruppe fehlt den Streitkräften jede Art von Fahndungsapparat. Zwar werden die Bundeswehrsoldaten durch die Einsatzvorbereitende Ausbildung für Konfliktverhütung und Krisenbewältigung (EAKK) leidlich gut auf ihre Auslandseinsätze vorbereitet, aber ihr grobes Terrorbekämpfungstraining ist lediglich „feldtauglich“. Panzer und Kanonen sind ungeeignet für Auseinandersetzungen mit Terroristen oder zivilen Bevölkerungsgruppen. Die Bundeswehr zählt zu ihrem „Fähigkeitsprofil“ zwar die „Wirksamkeit im Einsatz“, davon könnte bei Kampfeinsätzen im Inland aber kaum die Rede sein. Außerdem ist eine Zusammenarbeit zwischen Bundeswehr und Polizei schwierig, wenn die Bundeswehrführung auf die Befehlsgewalt über alle Truppenteile besteht, und die Polizeispitze ihrerseits die Führungsgewalt über ihre Hundertschaften behält.

Eine besonderes Problem ist die Frage des Schusswaffengebrauchs bei Inlandseinsätzen, zumal das Militär nicht - wie die Polizei - nach einem Verhältnismäßigkeitsprinzip vorgeht. Selbst ein „finaler Rettungsschuss“ ist in Militärkreisen völlig unbekannt. Andererseits ist ein Schießbefehl für Bundeswehrsoldaten angesichts der Auseinandersetzungen über den Schießbefehl für die ehemaligen DDR-Grenztruppen nicht durchsetzbar. Einerseits wollen die Politiker das Militär auf keinen Fall mit Polizeibefugnissen und nur klammheimlich mit dem Recht zum Schusswaffengebrauch ausstatten, andererseits wollen sie die Soldaten gegen schwerbewaffnete Terroristen einsetzen. Da kämen auf den einfachen Soldaten wirklich interessante Einsätze zu.

Aber bei extremen Terroranschlägen, wenn sich das ganze Gerede vom „staatlichen Gewaltmonopol“ als Chimäre erweist und lediglich ein paar hundert Mann der Spezialeinheiten Grenzschutzgruppe 9, Kommando Spezialkräfte oder die Spezialisierten Einsatzkräften Marine tatsächlich zur Verfügung stehen, kann man auf einen Rückgriff auf das Militär wohl nicht verzichten. Allerdings unterstehen diese Sondereinheiten nicht dem Nationalen Militärischen Befehlshaber und seinem Streitkräfteunterstützungskommando, sondern würden von einem eigenen Stab, dem Kommando Führung Operationen von Spezialkräften (Kdo FOSK) in Schwielowsee, geführt.

Doch bevor die politischen Vorgaben in konkrete Einsatzplanungen umgesetzt werden können, müssen entsprechende Konzepte erst entwickelt und erprobt werden. Dafür ist innerhalb der Bundeswehr das Zentrum für Transformation (ZTransfBw) in Strausberg zuständig. Unter Leitung von Brigadegeneral Erhard Drews denken hier 250 Militäranalytiker und Militärtechnokraten über neue Methoden zur Terrorismusbekämpfung etc. nach. Anschließend müssen die Konzepte in Manövern erprobt werden. Die Spezialeinheiten der Bundeswehr führen dazu ständig taktisch-operative Übungen durch. Außerdem dürfen Reservisten der Heimatschutzverbände manchmal in kleinen, einfachen Übungen „Partisanenbekämpfung“ spielen. Außerdem beteiligt sich die Bundeswehr an Stabsrahmenübungen des Zivilschutzes bei denen bundesweit Großlagen durchgespielt werden:

Die „Länder Übergreifende Krisenmanagementübung“ LÜKEX 2004 fand vom 29. November bis 1. Dezember 2004 statt. Beteiligt waren fast 6.000 Personen vom Bundesamt für Verfassungsschutz, Bundeskriminalamt, Bundesgrenzschutz, Länderpolizeien, Streitkräfteunterstützungskommando, Katastrophenschutzverwaltungen mehrerer Bundesländer und über 100 Wirtschaftsunternehmen (Energieversorgung, Wasserversorgung, Telekommunikation, Post, Bahn und Verkehr). Das Szenario sah vor, dass ein Orkan in Baden-Württemberg und Bayern die Stromversorgung lahm legt, während gleichzeitig in Schleswig-Holstein und Berlin Terroranschläge verübt würden, bei denen auch chemische Waffen zum Einsatz kämen.

Die Übung LÜKEX 05 wurde am 14. und 15. Dezember 2005 im Vorfeld der Fußballweltmeisterschaft mit 2000 Teilnehmern durchgespielt. Beteiligt waren u.a. die Bundesländer Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Brandenburg, Hessen, Sachsen und Baden-Württemberg sowie das Streitkräfteunterstützungskommando. Ziel der Übung war das länder- und bereichsübergreifende Krisenmanagement im Zusammenhang mit Großveranstaltungen und einem Massenanfall an Verletzten. Das Übungsszenario umfasste Terrorszenarien, Naturkatastrophen (Waldbrände), technische Unglücksfälle (Flugzeugabsturz in Berlin-Schönefeld, Gefahrgutunfall in Brandenburg) und die Seuchenausbreitung. Am 7. und 8. November 2007 findet die nächste Stabsrahmenübung LÜKEX 2007 zur Erprobung des Krisenmanagement bei einer weltweiten Influenza-Pandemie statt.

Nicht zuletzt wird bei der ganzen Diskussion über Inlandseinsätze der Bundeswehr im Innern völlig ausgeklammert, welche Rolle der Bundesnachrichtendienst bzw. das Amt für Militärkunde in diesem Zusammenhang übernehmen soll. Der BND fungiert in Friedenszeiten als Auslandsnachrichtendienst der Bundesrepublik. Darüber hinaus übernimmt der Dienst im Institutionengefüge der BRD zentrale Aufgaben bei der Überleitung vom Frieden in den Kriegszustand. In Kriegszeiten sollte der BND – zumindest im Rahmen der früheren Gladio-Planungen der NATO – als Zentrum der Terroristen- bzw. Partisanenbekämpfung fungieren.

Evakuierungsübungen

Mit den von einigen Politikern geforderten Bundeswehreinsätzen im Innern kommen auf die Streitkräfte neue Herausforderungen zu, und die Soldaten müssen auf solch delikate Szenarien vorbereitet werden. Natürlich probt die Bundeswehr keinen Bürgerkrieg in Deutschland, aber erlaubt sind Evakuierungsübungen, bei denen ein Bürgerkriegsszenario im Ausland durchgespielt wird. Hier ist entscheidend, wie umfangreich das Szenario ist, das dem Manöverdrehbuch zugrunde liegt. Um die Evakuierung von deutschen Soldaten oder Zivilisten zu erproben, wie es 1997 bei der „AKTION LIBELLE“ in der albanischen Hauptstadt Tirana notwendig war, fanden in der Bundesrepublik in den letzten Jahren u.a. folgende Übungen statt:

COLIBRI XL: Diese deutsch-französische Evakuierungsübung fand im August/September 2004 im Saarland unter Beteiligung der Fallschirmjäger der Division Spezielle Operationen (DSO) statt.

SCHNELLER SEEWOLF: Bei diesem fiktiven Bürgerkriegsszenario übten 26 Schiffe (u.a. Einsatzgruppenversorger „Berlin“, Fregatte „Karlsruhe“), ein Objektschutzbataillon der Luftwaffe, eine Kampfschwimmereinheit der Marine etc. vom 20. bis 24.September 2004 in Wilhelmshaven die Evakuierung von deutschen Staatsbürgern. Das Szenario: In „Saxaland“ kommt es zu bürgerkriegsähnliche Unruhen. Die Behörden haben die Kontrolle verloren. Rund 150 Deutsche können nur noch über den Seehafen „Wilford“ evakuiert werden, der wird allerdings von „irregulären, schwer bewaffneten Kräften“ unsicher gemacht. Zunächst bildet eine Kampfschwimmereinheit einen Brückenkopf, der dann von einem Objektschutzbataillon gesichert wird, so dass die Evakuierung trotz gewalttätiger Proteste der lokalen Bevölkerung beginnen kann. (http://whq-forum.de/invisionboard/lofiversion/index.php/t21517.html)

Während Flottenbefehlshaber Vizeadmiral Wolfgang Nolting lediglich davon sprach, dass sich hier die Bundeswehr auf ihre „Anforderungen der Zukunft“ vorbereiten würde, fragte der Manöverbeobachter der Tageszeitung „Die Welt“ in seinem Artikel berechtigterweise: „Bereitet die Bundeswehr hier auch zukünftige Einsätze auf deutschem Boden vor? Die Offiziere sagen dazu nichts und verweisen auf die „politischen Vorgaben“ aus Berlin.“

EUROPEAN CHALLENGE 05: Vom 19. bis 28. April 2005 übten 4.000 Soldaten aus 17 Nationen, darunter 3.500 Mann der Bundeswehr, in Eckernförde die Evakuierung von europäischen Staatsbürgern aus einem Bürgerkriegsland durch Schnellboote der Bundesmarine. Beteiligt waren u.a. die Division Spezielle Operationen (DSO), die Bundesluftwaffe (AWACS, Eurofighter, Tornados), sowie Kampfschwimmer und Hubschrauber der Marine.

BALTIC JUMP 05: Diesmal probte die Bundeswehr die Luftevakuierung von Deutschen aus einem Krisenland mittels eines Transportflugzeuges C-160D Transall. Der Übungsablauf: Zunächst mussten Tornado Recces den Luftraum über dem Zielgebiet aufklären. Anschließend wurden feindliche Radarstellungen durch Tornado ECM mit Harm-Raketen ausgeschaltet. Eurofighter und Phantoms übernahmen die Sicherung des Luftraums. Danach setzte eine Transall eine Gruppe von Fallschirmjägern ab, die die Landebahn sichern sollten, damit das Flugzeug eine Objektschutzstaffel absetzten konnte, die schließlich den gesamten Flughafen einnahm. Zum Schluss erfolgte die Evakuierung der Schutzbefohlenen durch eine zweite Transall, wobei bewaffnete UH-1D Transporthubschrauber die nähere Umgebung absicherten.

BRILLIANT MARINER 2006: Dieses Manöver fand vom 24. März bis 6. April 2006 in Nord- und Ostsee statt. Beteiligt waren Truppenkontingente aus 20 Staaten. Die Bundeswehr beteiligte sich mit der Fregatte „Karlsruhe“, drei Schnellbooten, zwei Versorgungsschiffen und mehreren Flugzeugen. Das Szenario: Zwischen der postkommunistischen Diktatur „Oakland“ und sechs demokratischen Staaten, darunter „Willowland“ (= BRD) kommt es zu einem Konflikt unter Beteiligung von UN- Truppen. Laut offizieller Darstellung übte die Bundeswehr hierbei die „Kriegführung in einem asymmetrischen Mehrfachbedrohungsszenario“: Evakuierung von Zivilisten, die Bekämpfung von Terroristen und die Unterstützung nach einem ABC-Angriff.

VOLCANEX 2007: An dieser Evakuierungsübung im Juni 2007 beteiligten sich Truppenteile aus neun Staaten der European Battle Group. Die Übung fand auf dem Truppenübungsplatz Heide (Sachsen-Anhalt) und dem Fliegerhorst Schönewalde-Holzdorf (Brandenburg) statt. Das Szenario: Nachdem auf das Staatsoberhaupt von „Zodialand“ ein Attentat verübt wurden, kam es zwischen den ethnischen Gruppen „Arasor“ und „Virgose“ zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. Daraufhin entsendete die UNO 150 Blauhelmsoldaten. Eine geplante Friedenskonferenz platzte, weil sie von Demonstranten massiv gestört wurde. Folglich mussten die Konferenzteilnehmer evakuiert werden.

Das Bürgerkriegsgerede der Zivilisten

Während sich die Militärs durch neue Organisationsstrukturen, modifizierte Ausbildung und neue Bewaffnung auf Bürgerkriegsszenarios vorbereiten, reagieren die Zivilisten mit düsteren Prognosen und mahnenden Worten am Rande einer „self-fulfilling prophecy“. Auf den ersten Blick erscheint es absurd, von einem Bürgerkrieg in Deutschland zu sprechen. Wer sollte gegen wen wozu kämpfen? Der letzte „Volksaufstand“ war am 17. Juni 1953, der letzte Putschversuch am 20. Juli 1944. Muss man daran erinnern, dass die „Verteidigungskonzeptionen“ der BRD und der DDR bis zum Fall der Mauer 1989 nichts anderes waren, als deutsch-deutsche Bürgerkriegsplanungen? Früher standen auf der Zielliste der Bundeswehr Rostock, Frankfurt/Oder, Leipzig und Dresden; im Falle eines Bürgerkrieges wären es Hamburg, Leipzig, Dresden und Frankfurt/Main.

Tatsächlich befürchtete die Bundesregierung einmal den Ausbruch eines Bürgerkrieges: Nachdem der Rechtsradikale Josef Bachmann am 11. April 1968 ein Attentat auf Rudi Dutschke in Berlin verübt hatte, befürchtete der damalige Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger, dass sie Situation außer Kontrolle geraten könnte. Er versuchte daher, die Situation zu „kalmieren“. In einer Fernsehansprache erklärte Kiesinger:

Seit Wochen wurden jedoch diese Gruppen (gemeint sind die linken Studenten, G.P.) davor gewarnt, ihre ungesetzlichen Aktionen fortzusetzen, weil sonst zwangsläufig die Mittel der staatlichen Abwehr verschärft werden müßten. Darüber hinaus ist zu befürchten, daß sich Gegenaktionen aus der Bevölkerung entwickeln könnten, die zu gefährlichen Zusammenstößen und Unruhen führen müßten. Die Bundesregierung verfügt über keine eigenen Polizeikräfte zur Abwehr derartiger Störungen der öffentlichen Ordnung. Dafür sind die Länder und Gemeinden mit ihren Polizeikräften allein zuständig. Ich habe aber veranlaßt, daß das Bundesministerium in ständiger Bereitschaft Verbindung mit den Innenministerien der Länder hält, deren Polizeikräfte in der Lage sind, diese Störungen abzuwehren. (...) Gewalt provoziert Gegengewalt, die sich zwangsläufig ständig ausbreiten und steigern muß. Um eine solche unheilvolle Entwicklung zu vermeiden, muß sich der weit überwiegenden Teil der Studentenschaft, der für die Aufrechterhaltung unserer demokratisch-parlamentarischen Ordnung eintritt, den radikalen Rädelsführern verweigern. Unsere Bevölkerung erwartet, daß der Staat die öffentliche Ordnung sichert. Dies aber ist ohne Verschärfung der staatlichen Abwehrmittel nur möglich, wenn die radikale studentische Minderheit sich auf den Boden des Rechts zurückbegibt.

Und während des „Deutschen Herbstes“ 1977 wähnte sich die Bild-Zeitung in einer „neuen Art von Bürgerkrieg“, so Chefkommentator Golo Mann. Am 8. September 1977 hieß es in dem Springer-Blatt:

Unser aller Bewährungsprobe steht noch aus: den Bürgerkrieg ernst nehmen, das heißt Ernst machen gegen die Krieger. In diesem Kampf darf es keine mildernden Umstände geben. Nur dieses: Das Grundgesetz in der linken, die Waffen in der rechten Hand.

Andererseits erweisen sich die politischen Verhältnisse in der Bundesrepublik als überraschend stabil - trotz einem Höchststand von 6 oder 7 Millionen Arbeitslosen, Deindustrialisierung durch Globalisierung, demographischem Faktor, Klimakatastrophe, Gewaltkriminalität und „Immigrantenschwemme“. Nach wie vor gucken Ausländer bewundernd auf den deutschen Exportweltmeister und wundern sich über den pessimistischen deutschen Nationalcharakter.

Aber hinter den Fassaden bröckelt das politische System. Schon 1993 konstatierte Hans Magnus Enzensberger in seinem Buch „Aussichten auf den Bürgerkrieg“:

Wir sprechen von Unterentwicklung, Ungleichzeitigkeit, Fundamentalismus. Es kommt uns so vor, als spiele sich der unverständliche Kampf in großer Entfernung ab. Aber das ist eine Selbsttäuschung. In Wirklichkeit hat der Bürgerkrieg längst in den Metropolen Einzug gehalten. Seine Metastasen gehören zum Alltag der großen Städte, nicht nur in Lima und Johannesburg, in Bombay und Rio, sondern auch in Paris und Berlin, in Detroit und Birmingham, in Mailand und Hamburg. Geführt wird er nicht nur von Terroristen und Geheimdiensten, Mafiosi und Skinheads, Drogengangs und Todesschwadronen, Neonazis und Schwarzen Sheriffs, sondern auch von unauffälligen Bürgern, die sich über Nacht in Hooligans, Brandstifter, Amokläufer und Serienkiller verwandeln. (...) Wir machen uns etwas vor, wenn wir glauben, es herrsche Frieden, nur weil wir immer noch unsere Brötchen holen können, ohne von Heckenschützen abgeknallt zu werden. Der Bürgerkrieg kommt nicht von außen, er ist kein eingeschleppter Virus, sondern ein endogener Prozeß. Begonnen wird er stets von einer Minderheit; wahrscheinlich genügt es, wenn jeder Hunderste ihn will, um ein zivilisiertes Zusammenleben unmöglich zu machen. Noch gibt es in den Industrieländern eine starke Mehrheit von Leuten, denen der Frieden lieber ist. Unsere Bürgerkriege haben bisher nicht die Massen ergriffen; sie sind molekular. Sie können aber, wie das Beispiel von Los Angeles zeigt, jederzeit eskalieren und zum Flächenbrand werden.

Enzensbergers allgemeine Vorahnungen schienen sich zu bestätigen, als der islamistische Extremismus neuartige Gewaltexzesse in Europa provozierte. Der Islamwissenschaftler Prof. Dr. Bassam Tibi warnte 2004 nach dem Mord an dem niederländischen Regisseur Theo van Gogh: „

Wenn nicht mehr Anstrengungen zur Integration von Ausländern unternommen werden, drohen Deutschland bürgerkriegsähnliche Verhältnisse wie in Holland. (...) Die Politik redet nur über Integration, handelt aber nicht. Da darf man sich nicht wundern, wenn irgendwann die Bombe explodiert.“ Tibi wagte die Prognose, in den nächsten zehn Jahren sei zu befürchten, „dass wir in unseren Großstädten mit Straßenkämpfen konfrontiert werden.

Es werde „massive Auseinandersetzungen geben mit der dritten Generation der hier lebenden Ausländer“.

So könnten rechtsradikale „Wehrsportgruppen“ und „Kameradschaften“ die Gelegenheit nutzen, und ihrerseits die Gewaltspirale ankurbeln. Der Bundesvorsitzende der Republikaner Rolf Schlierer konstatierte in einer Pressemitteilung vom 9. November 2005:

In den Pariser Vorstädten sind die multikulturelle Utopie und die Integrationslüge zugleich in Flammen aufgegangen. Die Rassenunruhen in Frankreich sind der beste Beweis dafür, daß die sog. multikulturelle Gesellschaft nicht funktioniert. Multikulti führt nicht auf die Insel der Seligen, sondern zu einer Konfliktgesellschaft mit Bürgerkrieg und Staatszerfall.

Dass dies nicht die Meinung eines einzelnen politischen Wirrkopfs ist, sondern innerhalb der rechten Szene breite Zustimmung erfährt, befürchtet Prof. Dr. Wolfgang Benz, Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung an der TU Berlin. Er warnte schon 2001 vor einer rechtsradikalen Subkultur, die sich vor allem in den neuen Bundesländern immer mehr ausbreitet:

Gegen die Zivilgesellschaft erhebt sich eine über den ideologischen Anspruch des Rechtsextremismus hinaus zu Gewalt und Zerstörung bereite, grundsätzlich Demokratie-unwillige Minderheit, die durch ihren Aktionismus, durch ihr aggressives Auftreten, durch ihre Resistenz gegen Diskussion und Argumentation gefährlich ist. Gefährlich, weil in ökonomischen und sozialen Krisensituationen solche Demonstrationen vermeintlicher Stärke, die Verleugnung des staatlichen Gewaltmonopols, die Verachtung demokratischer Konfliktbewältigung attraktiv sind. Man kann die Entwicklung als Erscheinungen einer randständigen Subkultur interpretieren. Man darf aber nicht unterschätzen, dass die Bereitschaft zum Bürgerkrieg besteht.

Vor diesem Hintergrund erhalten die Regierungspläne für Kampfeinsätze der Bundeswehr im Innern besonderes Gewicht. Oberstleutnant Jürgen Rose vom Arbeitskreis Darmstädter Signal sieht schon Ortskämpfe in Hamburg-Blankenese, Oberursel, Baden-Baden und Starnberg bei München:

Offenbar befürchtet man, dass die Bevölkerung irgendwann rebellisch wird und die Villen in den Vorstädten brennen. Für diesen potentiellen Bürgerkrieg will man vorbeugen.

Bleibt die Frage, was bedeutet eigentlich „Sieg“ in einem Bürgerkrieg. Zwar haben die Interventionen der Bundeswehr in die verschiedensten Bürgerkriegskonflikte (Jugoslawien, Somalia, Afghanistan etc.) in vielen Fällen den unmittelbar Betroffenen das Überleben erst ermöglicht, aber laut UNO gelten sämtliche Militäroperation der letzten Jahre als militär- und entwicklungspolitischer Fehlschlag. Nichtsdestotrotz könnten die Bundeswehrsoldaten das dort Gelernte jederzeit bei Kampfeinsätzen im Inland anwenden.

Gerhard Piper ist wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit.