Der Schutz der kritischen Infrastruktur und Einsatz der Bundeswehr im Inneren

Mit dem Aufbau von Verbindungskommandos auf kommunaler und Landesebene haben sich weitgehend unbemerkt gefährliche Strukturveränderungen ergeben

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Der Aufbau von Verbindungskommandos auf Kreis-, Bezirks- und Landesebene ist mittlerweile abgeschlossen. Sollten sich die Mehrheitsverhältnisse im so genannten Superwahljahr 2009 zu Gunsten der Befürworter des Bundeswehreinsatzes im Innern verschieben, so sind bereits Strukturen vorhanden, die diesen lokal effektiv koordinieren könnten.

Was sind die Verbindungskommandos der Bundeswehr, die in jedem Kreis eingerichtet wurden?

Claudia Haydt: Die Verbindungskommandos der Bundeswehr sitzen in jedem Kreis, in jeder kreisfreien Kommune, in manchen Bezirken. Es gibt insgesamt 426 Kreisverbindungskommandos und dann noch etwa 30 Bezirkskommandos. Sie sind integriert in die kommunalen Strukturen und gehören den kommunalen, zivilen Verwaltungen. Es sind aber Bundeswehrreservisten, die dann in diesen Büros sitzen.

Diese Zusammenarbeit zwischen der Bundeswehr und zivilen Stellen ist nicht grundsätzlich neu. In den 1970er und 1980er Jahren gab es zivil-militärische Übungen (WINTEX-CIMEX-Übungen), um die Zusammenarbeit zwischen Bundeswehr und zivilen Stellen in Krisen- oder Katastrophenfällen zu üben. Aber seit den 1990er Jahren hat sich die Bundeswehr umstrukturiert, ist immer weiter aus der Fläche verschwunden, hat Stellen und Standorte abgebaut, mit dem Ergebnis, dass eine flächendeckende Zusammenarbeit zwischen den zivilen Stellen und der Bundeswehr nicht mehr ohne weiteres möglich war. Dadurch ist auch der Anspruch der Bundeswehr, Experte für Krisenlösung zu sein, Stück für Stück verloren gegangen.

An dieser Stelle war es eine politische Entscheidung zu sagen, wir wollen die Bundeswehr aber im zivilen Kontext auch als Krisenlösungsfaktor installiert haben. Das war der Auslöser dafür, in Deutschland wie in anderen Ländern eine Art Homeland Security zu installieren. Diese Homeland Security wurde über die Bezirksverbindungskommandos installiert, so dass auch in Kreisen wie in meinem Heimatort in Tübingen, wo es schon längst keine Bundeswehr-Infrastruktur mehr gegeben hat, trotzdem wieder die Bundeswehr in den zivilen Strukturen präsent ist. Faktisch bedeutet das, dass 12 Reservisten pro Kreisverbindungskommando bereit stehen, um dort im Katastrophenfall mit den zivilen Katastrophenschutzbehörden zusammenzuarbeiten, um dann das Problem zu lösen.

Dadurch erhebt die Bundeswehr auch gleich den Anspruch, ein Teil der Problemlösung zu sein. Durch diese Struktur, in jedem Kreis präsent zu sein, hat die Bundeswehr auch ihren Anspruch wieder zementiert. Wir sind da, wir sind vor Ort und wir sind Teil dieses Katastrophenschutzszenarios. Rein faktisch und praktisch war es für die Bundeswehr notwendig, wenn sie den Anspruch auf Ordnung im Inneren weiter aufrecht erhalten will, dass sie auch weiter präsent ist. Sie hat das nun systematisch gemacht, viel systematischer als das vorher der Fall war. Es gibt eigentlich keine Strukturen der Katastrophenhilfe mehr, die ohne die Bundeswehr funktionieren werden.

Es handelt sich also in erster Linie um eine politische Entscheidung?

Claudia Haydt: Die Bundeswehr ist deutlich präsenter, und auch systematischer präsent. Früher musste quasi vom Landratsamt zum jeweiligen Bezirkskommando eine Verbindung hergestellt werden. Entweder man telefonierte oder man tauschte Beamte aus, je nachdem, was notwendig war. Nun sitzt die Bundeswehr in den zivilen Strukturen vor Ort. Es ist also unglaublich schwierig, um sie herum zu kommen, wenn es um die Behebung einer wie auch immer definierten Katastrophe geht. Sie ist auch mit mehr Personal präsent. Wenn man das hochrechnet, kommt man auf ungefähr 5.500 Reservistenposten in der Bundesrepublik, die explizit nur für die Zusammenarbeit im Krisen- oder Katastrophenfall da sind. Das ist eine ganz neue sowohl quantitative als auch qualitative Dimension.

Aushebelung der kommunalen Entscheidungsmöglichkeiten

Wer bestimmt die Reservisten, die vor Ort sitzen?

Claudia Haydt: Die Reservisten sind aufgerufen, sich selber zu melden für diese Arbeit. Die Bundeswehr sagt, wir brauchen zwölf Personen, die ein gewisses Rangspektrum, vom Feldjäger bis zum Offizier, aber auch ein gewisses Fähigkeitsspektrum abdecken müssen, zum Beispiel, dass es Sanitätsoffiziere geben muss und so weiter. Sie fragt dann, wer steht dafür zur Verfügung, und die Reservistenverbände bestehen häufig aus ehemaligen Soldaten, die einen sehr militaristischen Geist in sich tragen und sich auch zum größten Teil, zumindest im Westen der Bundesrepublik, gerne und freiwillig melden. Und dann muss natürlich die Bundeswehr, beziehungsweise die jeweilige Länderstruktur, entscheiden, wer passt. Aber es ist erst einmal die Initiative der Reservisten, und im Westen funktioniert das extrem gut.

Haben die zivilen Stellen vor Ort die Möglichkeit, auf die Besetzung der Posten Einfluss zu nehmen?

Claudia Haydt: Nein, es gibt keinerlei Möglichkeiten. Die zivilen Stellen bekommen die Menschen, mit denen sie im gleichen Haus, auf dem gleichen Flur zusammenarbeiten müssen, vorgesetzt. Die zivilen Stellen sind gezwungen und genötigt, für diese Personen die Infrastruktur zur Verfügung zu stellen, aber sie haben keinerlei Möglichkeiten, mit auszuwählen, wer das ist.

Und es gibt auch keine Möglichkeit, diese Personen abzusetzen?

Claudia Haydt: Nein. Das läuft dann über die Aufsicht der Bundeswehr. Es müsste dann also ein Landrat sich bei der Bundeswehr melden und sagen, wir haben schlechte Erfahrungen mit dieser Person gemacht, aber das wird wahrscheinlich wenig Erfolg haben, wenn es nicht wirklich ein klar nachweisbares Dienstvergehen ist. Sie stehen also außerhalb der Anweisungs- und Rechenschaftsstrukturen der jeweiligen kommunalen Behörden.

Der Angriff auf die kritische Infrastruktur wird bewusst weit gefasst

Eine Aufgabe der Verbindungskommandos ist es, die Kreise beim Schutz kritischer Infrastruktur zu unterstützen. Was versteht man darunter?

Claudia Haydt: Kritische Infrastruktur ist, mit einfachen Worten gesagt, all das, was notwendig ist, um unsere fortschrittliche Industriegesellschaft am Laufen zu halten. Das sind Datennetze, Eisenbahnnetze, zentrale Brücken, Elektrizitätskraftwerke, im Zweifelsfall aber auch die Müllabfuhr. Das heißt, sobald man das durchdenkt, was alles kritische Infrastruktur ist, merkt man, dass ein Angriff auf kritische Infrastruktur aus allem Möglichen bestehen kann. Das kann ein Streik, eine Besetzung eines Elektrizitätswerks durch seine Mitarbeiter sein, es kann sich um einen Bahnstreik oder einen Castortransportprotest handeln, der Schienen blockiert.

Der Krisenfall, der Angriff auf kritische Infrastruktur, kann ziemlich weit gefasst werden. Das heißt, eine Bekämpfung dieses Krisenfalls könnte auch bedeuten, dass im Zweifelsfall Soldaten gegen streikende Mitarbeiter oder gegen Menschen, die zum Beispiel Umweltproteste durchführen, eingesetzt werden können . Wenn das als Krise oder Terrorismus definiert ist, ist eben diese Einsatzschwelle gegeben. Ich vermute, dass wir in den nächsten ein, zwei oder drei Jahren noch nicht damit rechnen müssen, aber darauf könnte es längerfristig hinauslaufen. Den Sicherheitsbehörden wäre es dann möglich, neben Polizei auch tausende oder zehntausende Soldaten zur Verfügung zu haben, um dann solche Formen des Widerstandes auch niederschlagen zu können.

Gibt es eine verbindliche Definition dieser kritischen Infrastruktur?

Claudia Haydt: Es gibt keine verbindliche Definition dafür. Es gibt auf Ebene der EU eine Reihe von Hinweisen, was unter kritischer Infrastruktur zu verstehen ist. Da ist all das aufgezählt, was ich gerade eben genannt habe. Aber das ist nicht als Gesetz formuliert, es ist nicht einklagbar, sondern in gewisser Weise willkürlich, was jeweils bei einem Einsatz als kritische Infrastruktur definiert wird, deren Störung eine krisenhafte Auswirkung auf die Gesellschaft als Ganze haben kann. Der Protest gegen einen Zubringer für die Autobahn kann also ein Eingriff in kritische Infrastruktur oder auch nicht.

Noch gibt es Begrenzungen für den Einsatz des Militärs im Inneren, die aber schon aufgeweicht werden

Und der Schutz der kritischen Infrastruktur sieht dann so aus, dass Soldaten davor aufmarschieren?

Claudia Haydt: Dazu muss man sagen, dass die Bundeswehr nach jetziger Gesetzeslage im Zuge der Amtshilfe mit dazu gezogen werden kann. Sie darf, zumindest bisher, noch nicht in militärtypischem Kontext auftauchen. Sie darf nach Gesetzeslage nicht mit Panzern auftauchen, nicht mit ihrer Bewaffnung, sondern mit der gleichen Bewaffnung, die auch der Polizei zur Verfügung steht. Ich betone deswegen nach jetziger Gesetzeslage, weil bei den Protesten in Heiligendamm ja deutlich sichtbar war, dass dies sehr locker interpretiert wird. Wenn Fennek-Spähpanzer auf jeder Autobahnbrücke stehen können oder wenn Tornados über Protestcamps fliegen, dann ist es klar, es ist militärtypisch. Das sind keine Polizeimittel, die vom Militär benutzt worden sind. Und nachdem das keine rechtlichen Konsequenzen hat, ist klar, dass politisch kein Interesse daran besteht, diese gesetzliche Lage auch wirklich umzusetzen, sondern dass eher der Versuch unternommen wird, den gesetzlichen Schutz dort noch weiter auszuhöhlen.

Immer wieder wird gesagt, dass die Bedrohungen der heutigen Zeit wie der Terrorismus eine Zusammenarbeit zwischen zivilen und militärischen Stellen erforderlich machen würden. Macht dieser Zustand nicht eine entschlossene Sicherheitspolitik notwendig, bei der auch die Bundeswehr zunehmend eingebunden wird?

Claudia Haydt: Es wird sehr häufig gesagt, wir leben in einer Zeit der grenzenlosen Bedrohung, wo man keine Unterschiede mehr zwischen innerer und äußerer Sicherheit machen kann. Die Terroristen agieren grenzüberschreitend und können in Berlin genauso zuschlagen wie in London oder Islamabad, also müssen wir ja auch grenzüberschreitende Formen der Sicherheitskooperation finden. Das ist etwas, was immer wieder gesagt wird und was durchaus etwas für sich hat.

Aber es gibt ja auch die Möglichkeit grenzüberschreitender Polizeikooperation, die längst etabliert ist. Es werden Informationen, die die Polizei in einem Land erhoben hat, wenn es inhaltlich sinnvoll ist, in andere Länder weitergegeben. Das man nun noch zusätzlich die Bundeswehr brauchen sollte für eine Aufgabe, die polizeitypisch ist, das will mir nicht einleuchten. Die Bundeswehr ist nicht für polizeiliche Arbeit, für Ermittlungsarbeit, sondern für kriegerische Auseinandersetzung ausgebildet, also für das Bekämpfen von Gegnern. Wenn man die Terroristen als militärische Gegner definiert, dann macht man all die Fehler, die man macht, wenn man militärische Einsätze durchführt. Zivilisten werden gefährdet, es wird keine feine Ermittlungsarbeit, sondern relativ harte Formen des Zugriffs geben. All das, was die Polizei gelernt hat, haben diese Soldaten nicht gelernt, und sie werden deswegen Fehler machen.

Diese Fehler werden wahrscheinlich mehr Widerstand und mehr Unruhe produzieren, als dass sie zur Entspannung oder Lösung der Situation beitragen werden. Ganz primitiv: Terroristen sind eben nicht mit Uniform versehen, und man kann sie nicht genau orten. Also man kann nicht sagen, der ist ein Terrorist, und dann kann ich ihn mit militärtypischen Mitteln auch nicht bekämpfen. Ich kann keine Panzer auffahren lassen, um jemanden, den ich als Gegner gar nicht erkenne, zu bekämpfen. Terroristenbekämpfung ist klassische Ermittlungsarbeit, bei der ich unter vielen tausenden Zivilisten die Personen herausfinden muss, die wirklich eine Gefährdung für die Zivilbevölkerung darstellen. Wenn ich sie aber militärtypisch bekämpfe, gefährde ich die Zivilbevölkerung, die ich eigentlich schützen will. Wenn man um die Herstellung von Sicherheit und um den Erhalt bürgerlicher Freiheiten besorgt ist, dann müssen wir klar für eine Aufgabenteilung kämpfen. Das Militär, wenn man es überhaupt braucht, hat eine Aufgabe, nämlich Feinde militärisch zu bekämpfen, die Polizei hat eine Ermittlungsaufgabe, und beides muss man fein säuberlich trennen, wenn man nicht zusätzliche Gefährdungslagen entstehen lassen will.

Vor allem in der Union gibt es ja die Initiative, den Bundeswehreinsatz im Inneren zu ermöglichen. Gibt es da einen Zusammenhang zu den Verbindungskommandos?

Claudia Haydt: Ja, da gibt es einen massiven Zusammenhang, weil wie ich sagte, momentan gibt es noch bestimmte Grenzen. Die Bundeswehr darf im Inneren nur im Krisen- oder Katastrophenfall eingesetzt werden, was eine Einschränkung ist, weil man dann zumindest einmal Krisen- und Katastrophenfall definieren muss. Eine weitere Einschränkung ist, dass nur polizeitypische Ausrüstung eingesetzt werden darf. All das schränkt die Bundeswehr in ihrer freien Verwendung nach Innen ein. Wenn man dann aber die Bundeswehr wesentlich selbstverständlicher zum Schutz von Atomkraftwerken oder von Brücken benutzen will, dann ist es sinnvoller, wenn man das nicht nur anlassbezogen machen kann, also wenn eine konkrete Gefährdung vorliegt, sondern ständig und dauerhaft, oder zumindest dann machen kann, wenn es politisch für opportun gehalten wird. Und dann ist es sinnvoll, wenn diese gesetzlichen Einschränkungen auch fallen oder zumindest minimiert werden, weil es eine größere Flexibilität der Einsätze der Bundeswehr ermöglicht.

Außerdem ist der Einsatz momentan auch durch die Anzahl von Soldaten, die ständig zur Verfügung stehen, begrenzt. Die CDU/CSU hatte ja die Idee, nicht nur diese 5.500 oder 10.000 Reservisten zu haben, sondern schlussendlich 250.000 zur Verfügung zu haben, die im Inland im Einsatz sein können. Eine ganz andere Dimension. Und wenn man solche Dimensionen im Kopf hat, ist natürlich jede gesetzliche Einschränkung mindestens eine zu viel. Deswegen gibt es einen massiven Versuch, immer und immer weiter die Trennung von Polizei und Militär aufzuheben, aber auch die Art der Einsätze immer stärker und offensiver möglich zu machen.

Aus meiner Sicht ist der wichtige Punkt, dass dies gar nicht so sehr gegen Terroristen gerichtet ist, das ist ein Einfalltor, sondern dass es gegen die eigene Bevölkerung gerichtet ist. Dahinter könnte etwa die Angst stecken, dass zum Beispiel Streiks so stark werden könnten, dass sie eine wirtschaftliche Auswirkung haben. Man hat Angst davor, als Staat erpressbar zu sein von streikenden Energiearbeitern zum Beispiel, und will die Möglichkeit haben, ein Gegendrohpotential zu entfalten. Und je mehr wir in einem armen Land leben, je mehr die Not zunimmt, desto mehr wird das auch als Notstand definiert und desto mehr müssen wir dann auch mit Bundeswehreinsätzen im Inneren rechnen.

Und im Ergebnis stehen dann Flugzeugabwehrbatterien vor Stadien wegen Terrorgefahr und Panzer im Regierungsviertel...

Claudia Haydt: Sie spielen auf den Einsatz der Bundeswehr bei der Fußball-WM 2006 an, als wirklich die Bundeswehr in den Stadien mit nicht polizeitypischer Ausrüstung präsent war. Und das bedeutet, dass jedes Großereignis auch ein militärisches Großereignis werden wird. Eine fürchterliche Vorstellung. Dann muss nur noch irgendeine Befehlslage unklar sein, man kann sich vorstellen, eine Panik im Stadion, die Soldaten im Stadion bekommen vielleicht eine Anweisung, die nicht passend ist zur Situation, da kann es dann ganz schnell zu Hunderten oder Tausenden von Opfern kommen, wenn die Soldaten entsprechend ausgerüstet, aber in der Situation völlig überfordert sind. Man kann sich vorstellen, dass das vollständig eskalieren und keinesfalls zum Schutz der Bevölkerung dienen wird.

Wird die Bundeswehr bald auch auf Streikende schießen können?

Warum glauben Sie, findet das Thema bisher in den Medien so wenig Beachtung?

Claudia Haydt: Ich glaube, weil es so abstrakt ist. Es sind die Strukturen, die verändert worden sind, sichtbar wurde es eben nur bei der WM oder in Heiligendamm. Weitere Ereignisse, bei denen das zum Tragen kam, waren dann Vogelgrippe, Waldbrand oder Hochwasser. Das klingt erstmal schön, das ist so eine Art Public-Relations-Maßnahme für die Bundeswehr, wenn sie dort auftaucht und den Menschen helfen kann. Für solche Hilfe gibt es in den Medien dann auch häufig Beifall. Sich aber zu überlegen, was das in anderen Situationen bedeutet, das setzt eine Hintergrundrecherche voraus, für die meistens im Alltag von Journalisten wenig Zeit bleibt.

Deswegen braucht es natürlich kritische Journalisten, die fragen, was das konkret bedeutet. Ist das nur dieser schöne Effekt, dass beim Hochwasser jemand da ist, der Sandsäcke füllt, oder bedeutet das etwas, was schlussendlich das Leben in der Bundesrepublik verändert? Diese Frage zu stellen braucht Zeit und Recherche und Reflexion, und all das findet im Redaktionsalltag viel zu selten statt. Aber es fehlt auch am Geschichtsbewusstsein. Vielen ist nicht klar, was es bedeutet, wenn Sicherheitskräfte, also Polizei, Geheimdienste und Militär, in einem Land so eng zusammenarbeiten. Das zeichnet einen totalitären Staat aus, den wir im Dritten Reich hatten.

Und der letzte Punkt aus meiner Sicht ist, dass die Bundeswehr insgesamt ein sehr gutes Image hat. Nicht so sehr ihre Kriegseinsätze, der Afghanistaneinsatz hat ja ein schlechtes Image, aber die Bundeswehr als Ganze hat ein gutes Image in der Bevölkerung. Folglich traut man ihr nichts Böses zu, man kann sich nicht vorstellen, dass diese Bürger in Uniform sich tatsächlich auch gegen andere Bürger wenden könnten. Damit müssen wir, wie gesagt, auch nicht sofort rechnen, sondern das sind schleichende Strukturveränderungen, die etwas ermöglichen, wovor ich Angst habe und wovor ich warnen will, bevor wir unkontrollierbare Sicherheitskräfte haben. Wenn man Menschen auf der Straße fragt, dann denken sie beim Thema Afghanistan zuerst an einen Entwicklungshilfeeinsatz, und im Innern denkt man eben auch nur an das Sandsackschaufeln und nicht daran, was es zur Einschränkung von Demonstrationen oder zur Kontrolle der Bevölkerung und Einschränkung von Bürgerrechten beiträgt. Das wird systematisch ausgeblendet, und es ist noch eine harte Arbeit, dafür ein Bewusstsein zu schaffen.

Aber mittelfristig trauen Sie der Bundeswehr nicht zu, auf Streikende zu schießen?

Claudia Haydt: Ich sagte, kurzfristig traue ich es ihr nicht zu. Mittelfristig wage ich da wirklich keine Aussage. Es kommt jeweils auf die Eskalation von Situationen an.

Ich habe ja schon einmal den Vergleich zu Afghanistan gezogen. Seit Juni 2008 sind in Afghanistan diese Quick Reaction Forces, also so eine Art militärische schnelle Eingreiftruppe im Einsatz. Das sind im Einzelnen sicherlich alles nette Jungs, aber sie sind von konkreten Situationen überfordert und reagieren falsch, was man zum Beispiel im August merkte, als Bundeswehrsoldaten an einem Checkpoint waren, es kamen Autos auf sie zu, wendeten, es war Nacht, sie hatten Angst, die Befehlslage war unklar, und einer der Soldaten schoss, als das Auto schon gewendet hat, und traf dann die Frau und die Kinder auf dem Rücksitz. Ich denke, dass ist einfach eine klassische Überforderungssituation. Und eine Checkpointsituation ist eine Polizeisituation, wo man Polizisten braucht, die gelernt haben, wie man nachts bei schlechten Sichtverhältnissen mit Kontrollsituationen umgeht, während die Bundeswehrsoldaten das noch nicht einmal richtig gelernt haben, sondern nur einen Kurzkurs über wenige Tage darüber hatten, wie sie mit so einer Situation umgehen müssen, und sich dann entsprechend falsch verhalten.

Ich denke, solche Eskalationen werden erstmal nicht mit Absicht passieren, sondern sie werden aus Überforderung entstehen, weil das eben nicht der Ausbildung der Soldaten entspricht. So etwas Ähnliches kann ich mir im Innern auch vorstellen. Ein Beispiel wären Barrikaden, die Streikende aufgebaut haben und von denen die Soldaten nicht wissen, ob hinter diesen Barrikaden ein Kameraobjektiv ist oder vielleicht doch jemand auf sie zielt, und dann schießen sie eben, weil sie sich gefährdet fühlen. So etwas kann sehr schnell passieren, und das kann dann insgesamt ein Klima der Angst und des Hasses entstehen lassen. Ich denke, wir sind von Situationen wie in Griechenland noch weit entfernt, aber das zeigt ja, wenn in der Bevölkerung großer Hass, große Wut da ist, dann kann das sehr schnell eskalieren, und wenn auf der anderen Seite entsprechend ausgerüstete Soldaten sind, die in der Situation verunsichert sind, setzen sie ihre Waffen auch ein, oder zumindest ist zu befürchten, dass sie sie einsetzen, und genau das möchte ich verhindern und rechtzeitig davor warnen.

Die Bundeswehr lernt bei Auslandseinsätzen auch Fähigkeiten für den Einsatz im Inneren

Stellen Sie sich das zukünftige Vorgehen der Bundeswehr dann so vor, wie auf diesem Foto aus der Zeitschrift „Europäische Sicherheit“ zu sehen ist?

Claudia Haydt: Das ist nicht ausgeschlossen. All das, was die Soldaten gerade für den Auslandseinsatz üben oder auch im Einsatz mitmachen, sind Fähigkeiten, die sie nach Innen auch mitbringen. Und diese Fähigkeiten der "Crowd and Riot-Control", also der Kontrolle von Massen und der Kontrolle von Aufständen, gehören zum Beispiel für die Einsätze im Kosovo oder in Afghanistan zur Schnellausbildung der Bundeswehr. Das sind Fähigkeiten, bei denen dann durchaus politisch die Entscheidung kommen kann, dass sie jetzt im Inneren gebraucht werden.

Ich nehme einfach noch einmal das griechische Szenario. Wenn es tausende oder hunderttausende Menschen geben würde, die auf den Straßen sind, weil sie zum Beispiel die weitere Verschärfung der Hartz-IV-Gesetze nicht mehr akzeptieren wollen, und das aus Sicht der Politik unkalkulierbar wird, man gleichzeitig aber auch nicht bereit ist, politische Zugeständnisse zu machen, dann bietet es sich an, Soldaten, die gelernt haben, wie man Massen in Schach halten kann, auch im Innern einzusetzen. Deswegen denke ich, dass wir sehr genau hinsehen müssen, nicht nur auf das, was hier in Deutschland passiert, sondern auch, welche Fähigkeiten sich Bundeswehrsoldaten im Ausland erwerben. Gerade dieses etwas brutalere Vorgehen als das der Polizei in Deutschland macht den Bundeswehreinsatz im Ausland aus. Nun gut, man versucht dann erstmal nur mit Schlagstöcken oder nur mit Wasserwerfern oder nur mit Tränengas, Gruppen in Schach zu halten, hat aber die Panzer im Hintergrund und kann Schusswaffen gebrauchen oder eben mit Panzern auf Menschenmengen zurollen. Das eskaliert eine Situation total und ist eben auch eine Gefährdung der Zivilbevölkerung, macht Zivilbevölkerung zum Gegner, im Ausland wie im Inland.

Es gibt Konzepte der Bundeswehr, so genannte Konzepte der vernetzten Sicherheit. Zu denen gehört unter anderem zu sagen, dass die Bundeswehr ein ganz breites Spektrum von Einsatzmöglichkeiten hat. Wir können in zivilen Kontakt mit der Bevölkerung kommen, sie überreden, überzeugen, das auf der einen Seite. Und wir haben auf der anderen Seite die Möglichkeit, wirklich tödliche Gewalt anzuwenden. Und wir haben dazwischen ein ganzes Spektrum an Eskalationsmöglichkeiten, eben vom Schlagstock über den Wasserwerfereinsatz bis zum Schusswaffengebrauch, die wir je nachdem, wie wir es für nötig halten, einsetzen können.

Dieses Kontinuum in der Ausweitung militärischer Gewaltanwendung wird gerade ausgetestet. Es wird nahtlos von einem zum anderen übergegangen, so dass es zuerst einmal freundlich aussieht, nicht militärisch, nicht so sehr nach Krieg, aber wir haben immer im Hinterhalt die Möglichkeit, auch harte Mittel einzusetzen. Situationen werden auch darüber definiert, wer das stärkste Mittel hat. Wenn ich mit jemandem verhandele, mit dem ich nur rede, aber der andere hat ein Maschinengewehr über der Schulter, dann ist es klar, dass er eine andere Verhandlungsposition hat. Das heißt, es geht darum, die Bundeswehr sowohl konkret in Einsatz zu bringen, aber sie auch als politisches Gewicht zur Überzeugung und zur Beeinflussung von Situationen heranzuziehen. Und dieses politische Gewicht der Bundeswehr ist etwas, vor dem ich große Angst habe, weil es Möglichkeiten einschränkt, auch Protest einschränkt.

Anstatt die Bundeswehr bei Katastrophen heranziehen zu müssen, wäre der Ausbau des zivilen Katastrophenschutzes wichtig

Die Verbindungskommandos sind in jedem Kreis installiert. Besteht denn die Möglichkeit der Einflussnahme dieser Kommandos auf die Kommunalpolitik?

Claudia Haydt: Die Einflussnahme der Verbindungskommandos auf die Kommunalpolitik ist erst einmal indirekt, aber dennoch nicht unwichtig. Wenn Bundeswehrsoldaten in den kommunalen Behörden sitzen und das Militär zum Beispiel eine eigene Feuerwehr anbieten kann, die beim Brand einer Chemiefabrik helfen kann, oder auch in der Lage ist, auf Räumgeräte zurückzugreifen, mit dem nach einem Orkan die Straßen geräumt werden können, ist ein Anreiz für die Kommunen gegeben, zu sagen, wir haben ja die Bundeswehr, wir brauchen kein eigenes Gerät mehr, da können wir Geld sparen.

Allein durch das Angebot dieser militärischen Fähigkeiten entsteht ein Druck, durch den die zivilen Fähigkeiten Stück für Stück abgebaut werden. Damit macht sich Militär immer unabkömmlicher, und da die Kommunen alle sehr arm sind, ist es ein extremer Druck, der da ausgeübt wird. Ich habe zehn Jahre lang Kommunalpolitik gemacht, und man sucht da jeden Punkt, wo man ein Feuerwehrauto, einen Räumbagger oder sonst was sparen kann, einfach um ein bisschen Geld, ein bisschen Luft frei zu haben. Das Militär wird dadurch nach und nach zum einzigen Anbieter, der den zivilen Schutz im Katastrophenfall bieten kann.

In meinen Augen eine völlige Fehlentwicklung. Es wäre viel besser zu sagen, die Bundeswehr muss das nicht machen können, die zivilen Stellen müssen es können, und sie müssen im Notfall auch entscheiden können, was für sie wichtiger ist. Ist der Weg zum Krankenhaus oder der zur Kaserne der wichtigere? Solche Entscheidungen werden im Notfall vom Militär definiert, mit seinen eigenen Prioritäten. Deshalb halte ich das für einen ganz katastrophalen Einfluss auf die kommunalen Strukturen. Es ist nicht so, dass die zivilen Krisenhilfsstrukturen abgebaut werden, weil die Bundeswehr das sagt. Die Bundeswehr wird sagen, wir haben das niemandem vorgeschrieben, natürlich sollen die Kommunen das weiter behalten. Aber durch die normative Kraft des Faktischen wird es für die Kommunen fast selbstverständlich, ihre eigenen Kapazitäten abzuschaffen.

Ein weiterer Punkt in diesem Kontext ist übrigens, dass es für die Kommunen dann doch nicht billig wird. Es wird gesagt, wir stellen ja militärisches Personal und militärisches Gerät zur Verfügung. Aber es gibt jetzt schon Kommunen, wo dann das Militär gesagt hat, naja, wir stellen das schon zur Verfügung, aber wir wollen dann ein anständiges Lagezentrum haben. Die Einrichtung eines Lagezentrums bedeutet immer: abhörsichere Kommunikationswege. Das bedeutet, dass es immer gesicherte Datenverbindungen von diesen zivilen Lagezentren zur Bundeswehr geben muss. Es ist also eine Art High-Tech-Lagezentrum erforderlich, und das kostet Geld. Das kostet hunderttausende Euro, die auch investiert werden müssen, und zwar von den Kommunen. Einerseits wird also Geld eingespart, aber andererseits müssen die Bürger dann doch wieder alles zahlen.

Aber was sie nun bezahlen, kontrollieren sie nur noch begrenzt. In gewisser Weise entstehen dadurch in den zivilen und eigentlich demokratisch kontrollierbaren Strukturen kontrollfreie Räume in denen die Bundeswehr das Sagen hat. Und die Bundeswehr funktioniert nach Befehl und gehorsam, nach ganz eigenen Kriterien. Da kann dann vielleicht noch der einzelne Landrat oder einzelne Beamte etwas mitreden, aber schlussendlich wird die Bundeswehr die Oberhand haben.

Die Verbindungskommandos sind also nicht mehr demokratisch kontrollierbar?

Claudia Haydt: Sie sind nur noch begrenzt demokratisch kontrollierbar. Dadurch, dass die Bundeswehr mit bis zu zwölf Personen dort präsent ist, sie fast die gesamte Ausrüstung stellt und auch über Expertise verfügt, die im kommunalen Kontext Stück für Stück verloren geht, kann sie die jeweiligen Situationen mehr und mehr bestimmen. Sie kann definieren, was der Notfall räumlich und inhaltlich ist. Sie definiert die Lage, und sie ist außerhalb dessen, was kommunale Strukturen ausmacht.

Die Bundeswehr ist also diejenige, die einen demokratiefreien Raum entstehen lässt. Einen Landrat kann man, je nach Bundesland, entweder abwählen oder zumindest bei den neuen Wahlen ist es klar, dass er nicht mehr von seiner Partei aufgestellt wird, wenn er Mist baut. Die einzelnen Beamten kann man vor Ort leichter kontrollieren, durch Dienstaufsichtsbeschwerden und so weiter, die auch einzelne Bürger machen können. Das ist gegenüber der Bundeswehr wesentlich schwieriger, wesentlich intransparenter. Sowohl die einzelnen Bürger als auch die kommunalen Strukturen haben weniger Möglichkeiten der Einflussnahme. All das ist für mich so unkontrollierbar, so intransparent, dass man sich allein aus demokratietheoretischen Gründen dieser Form der zivil-militärischen Kooperation versperren und verschließen sollte.

Welche Alternative zur zivil-militärischen Zusammenarbeit schlagen Sie vor?

Claudia Haydt: Wichtig ist, die zivilen Strukturen mit dem Gerät auszustatten, das benötigt wird, um in Krisen- und Katastrophenfällen auch helfen zu können. Gebraucht werden zum Beispiel Räumbagger oder ein gewisses Maß an Kommunikationsstrukturen, die funktionieren, auch wenn die Stromversorgung zusammenbricht. Weiterhin wird entsprechendes Personal mit entsprechender Ausbildung benötigt. All das ist möglich und all das gibt es ja auch schon in Ansätzen, nur eben zu wenig.

Es ist eine Frage der politischen Prioritäten, wo investiert wird. Aus meiner Sicht ist das Zivile das einzig Sinnvolle, weil man nur so auch zivile Prioritäten setzen und dann entsprechend der Bedürfnisse der Bevölkerung agieren kann. Es ist durchaus möglich, ein gewisses Maß an Reservisten auch auf der Ebene der Bevölkerung mit einzubeziehen, auch Schulklassen mit einzubeziehen in die Ausbildung, was zu tun ist, wenn ein Damm zu brechen droht. Es lassen sich Strukturen finden, in denen man Menschen heranziehen kann, die helfen, die auch sicher bereit sind zu helfen, wenn man sich rechtzeitig entsprechende zivile Strukturen überlegt und ausbaut. Es ist nicht notwendig, auf die Bundeswehr zurückzugreifen, ganz im Gegenteil, ich halte es für sinnvoller, wenn sich eine zivile Bevölkerung von militärischen Strukturen unabhängig macht.

Deswegen ist es aus meiner Sicht nicht nur so, dass es Alternativen zur Bundeswehr gibt, sondern man kann wesentlich effektiver Katastrophen bekämpfen, wesentlich effektiver helfen, wenn das in ziviler Hand ist. Und diese Hilfe kann man dann auch wesentlich effektiver in andere Länder bringen, wenn es dort notwendig ist, als wenn ich dazu die militärischen Strukturen brauche, weil dann das Humanitäre wesentlich mehr Priorität hat als im militärischen Kontext.

Die Religionswissenschaftlerin und Soziologin Claudia Haydt war von 1989-1994 Mitglied des Kreistags Tübingen und von 1994 bis 1999 als Stadträtin in Tübingen aktiv. Aus Protest gegen den Krieg im Kosovo erklärte sie ihren Parteiaustritt bei Bündnis90/Die Grünen. Heute ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin für die Bundestagsfraktion der Linkspartei. Außerdem engagiert sie sich in der Informationsstelle Militarisierung (IMI). Zu ihren Arbeitsschwerpunkten gehören unter anderem die Europäische Militarisierung sowie allgemeine Friedens- und Konfliktforschung. Telepolis sprach mit ihr über "Homeland Security" in der Bundesrepublik.